Artikel

Tabuthema Suizid

Tabuthema Suizid

Herr Erwin Puttinger im Gespräch über Präventionsmaßnahmen bei Suizidgedanken.


Suizidgedanken: mögliche Ursachen und Präventionsmaßnahmen

Im Bereich der Psychotherapie kommt man mit dem Thema Suizid grundsätzlich öfter in Kontakt als im Bereich des Coachings. Darüber hinaus wird das Thema bei einer Erstanamnese im Rahmen der Psychotherapie in der Regel zumindest abgefragt, um diese Gefahrenquelle  auszuschließen. Wenn Menschen Suizidgedanken äußern, setzen sich PsychotherapeutInnen direkt mit dem Thema auseinander. Zudem gibt es Fälle, bei denen bestimmte Präventionsmaßnahmen, wie etwa intensive Gesprächsdurchführung, Risikoabschätzung, Krisenvereinbarungen ergriffen werden müssen, weil eine akute Suizidgefährdung  besteht.

In der Praxis beschäftigen wir uns in erster Linie mit der Suizidprävention sowie auch mit der Nachbetreuung nach einem Suizidversuch und der anschließenden Psychotherapie. Wenn das Thema vorkommt, sollte man als Psychotherapeut telefonische Erreichbarkeit anbieten, um für Betroffene zur Verfügung zu stehen bzw. über öffentliche Kriseneinrichtungen wie etwa die Krisenhilfe Oberösterreich (https://www.krisenhilfeooe.at/) oder die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.at/) informieren.

Gewisse Altersgruppen sind mehr gefährdet

Grundsätzlich steigt die Suizidrate im Alter ab etwa 65 Jahren – dabei sind Männer über 70 einem deutlich höheren Risiko als jede andere Altersgruppe ausgesetzt. Dagegen ist die Selbstmordrate bei Frauen wesentlich geringer. Das bedeutet, dass Geschlecht und Alter zwei wichtige Faktoren sind, die bei der Suizidalität eine Rolle spielen. Zudem ist auch die soziale Situation entscheidend – dabei stellt Einsamkeit ein Risikofaktor dar. Darüber hinaus ist auch der finanzielle Status wesentlich – kritische Lebensereignisse wie etwa finanzielle Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit etc. erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen –insbesondere für Depression, Abhängigkeit bzw. Sucht.

Suizid und Depression

Meist gehen Suizidgedanken mit einer Depression einher. Auf der einen Seite ist dabei eine gewisse Komorbidität vorhanden – Suizidgedanken treten oft in der Form einer Begleitsymptomatik bei einer bestehenden psychischen Störung auf. Auf der anderen Seite können bestimmte unvorhersehbare Krisensituationen bzw. schwere Lebensereignisse wie etwa Todesfälle, Trennungen, Konflikte Suizidgedanken auslösen, auch wenn keine psychische Erkrankung im Hintergrund steht.

Mehr Öffentlichkeitsarbeit?

An erster Stelle hat die Suizidprävention im Zuge der letzten dreißig Jahren deutlich zugenommen, was unter anderem durch die Erstellung verschiedener Präventionsprogramme und Initiativen sowie durch die Einrichtung von Beratungsstellen erreicht wurde. In diesem Zusammenhang ist in Österreich seit den 1980er Jahren ein deutlicher Rückgang der Suizidhäufigkeit zu beobachten. Darüber hinaus ist das Thema Suizid in den letzten Jahren viel mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wenn das Thema medial zu viel forciert wird bzw. wenn Suizide in den Medien zu plakativ oder zu reißerisch dargestellt werden, besteht allerdings die Gefahr des sogenannten „Werther-Effektes“ (Nachahmungseffekt). Der Begriff beschreibt die Annahme, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Suiziden, über die in den Medien zu plakativ berichtet wurde, und einer Erhöhung der Suizidrate in der Bevölkerung besteht. Die Bezeichnung geht auf die „Selbstmordwelle“ zurück, die unter jungen Menschen nach der Veröffentlichung von Goethes Roman Die Leiden des jungen Werthers ausgelöst wurde.

Diesbezüglich hat die Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention (http://www.suizidpraevention.at/ ) Anfang der 90er Jahre eine Vereinbarung mit Medienvertretern hierzulande getroffen, dass eine reißerische mediale Darstellung von Suizide gemieden sein soll. Selbstverständlich gilt die Informiertheit über Risikogruppen, Suizidverhalten, Beratungsstellen etc. nach wie vor als eine sehr sinnvolle Präventionsmaßnahme. Durchaus sinnvoll sind auch alle Informationen darüber, wie Angehörige, Familie oder Freunde von Betroffenen einen Suizidversuch bzw. einen Selbstmord aufnehmen, verarbeiten und damit umgehen können.

Auch Angehörige brauchen Hilfe

In meiner Praxis kommt es eher selten vor, allerdings werden beispielsweise von der Krisenhilfe OÖ (https://www.krisenhilfeooe.at/ ), den Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes und der Notfallseelsorge, die darauf spezialisiert und rund um die Uhr erreichbar ist, auch Angehörige von Betroffenen vermehrt betreut. Meiner Ansicht nach sind das die  Anlaufstelle, an welche Menschen, die Suizidversuche bzw. Suizide eines Angehörigen verarbeiten müssen, sich wenden können. Schlussendlich machen PsychotherapeutInnen die Erfahrung, dass praktisch fast jeder Mensch jemanden kennt, der in irgendeiner Form mit dem Thema Suizid konfrontiert ist oder konfrontiert war – das Thema also viel mehr Menschen betrifft, als man sich vielleicht denkt.

 

Quelle:

Redaktion, Interview mit Erwin Puttinger

Kommentare