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„Ist da Gluten drin?“ – Mythen und Fakten rund um die glutenfreie Ernährung

„Ist da Gluten drin?“ – Mythen und Fakten rund um die glutenfreie Ernährung

Glutenfreie Ernährung liegt voll im Trend. Nicht nur zahlreiche Promis ernähren sich glutenfrei und "bewerben" diese Ernährungsweise, auch viele Sportler tun dasselbe. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Doch was ist dran an diesen Überzeugungen?

Macht Gluten uns alle krank?

Nein. Gluten ist nur schädlich für Menschen, die von einer Glutenunverträglichkeit betroffen sind. Der Begriff Glutenunverträglichkeit umfasst neben den Krankheitsbildern der Zöliakie (dauerhafte Unverträglichkeit des Immunsystems gegenüber Gluten) auch die der Weizenallergie (Lebensmittelallergie) und der Gluten- und Weizensensitivität (eine nicht allergische, glutenbedingte Funktionsstörung).

Alle drei Formen haben gemeinsam: Ein Verzicht auf glutenhaltige Nahrungsmittel führt zu einer Besserung der Symptome,

sagt Ulrich Ladurner, Präsident von Dr. Schär. "Menschen, die unter Zöliakie leiden, müssen lebenslang komplett auf Gluten verzichten. Das gilt schon für Spuren von Gluten, da sie ihren Darm sonst nachhaltig schädigen und schwerste Mangelerscheinungen entwickeln können." Menschen, bei denen dagegen eine Gluten-/Weizensensitivität diagnostiziert wird, schädigen ihren Darm nach derzeitigem Kenntnisstand nicht und können unter Umständen sogar eine glutenarme Ernährung vertragen. Besteht keine solche medizinische Notwendigkeit, dann ist der Verzehr von Gluten im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung nicht schädlich.

Mythos Leistungssteigerung

"Dass eine glutenfreie Ernährung für jeden Menschen gesünder ist, lässt sich wissenschaftlich nicht bestätigen", erläutert Prof. Dr. med. Martin Storr, Gastroenterologe am Gesundheitszentrum Starnberg. "Weizen, Roggen und Gerste enthalten nämlich, vor allem als Vollkornprodukte, auch viele wichtige Nährstoffe, Vitamine und Mineralien, beispielsweise Eisen, Vitamin D und K, auf die man nicht so einfach verzichten kann." Wer seine Ernährung umstellt, muss deshalb darauf achten, diese Nährstoffe aus anderen Quellen ausreichend zu sich zu nehmen. Nicht umsonst empfehlen Mediziner bei der Umstellung auf eine glutenfreie Diät die Begleitung durch eine Ernährungsberatung.

Mythos Abnehmen

Der Hollywood-Mythos des Abnehmens durch die glutenfreie Ernährungsweise ist genau das: ein Mythos. Denn die Promis nehmen durch den Verzicht auf Kohlenhydrate ab, nicht durch den Verzicht auf das Klebereiweiß Gluten. Fest steht: Wer glutenhaltige Produkte einfach durch glutenfreie Nahrungsmittel ersetzt, die die gleiche Menge Kohlenhydrate aus anderen Quellen enthalten, wird nicht automatisch abnehmen. Eine etwaige Gewichtsreduktion, vor allem in der Anfangszeit, resultiert meist aus der allgemein bewussteren Ernährung und dem Verzicht auf spontane, meist nicht glutenfreie Snacks zwischendurch.

War früher alles besser?

Frühere Getreideformen enthielten tatsächlich erheblich weniger Gluten und wurden auch seltener gegessen,

erklärt Eduard Bernhart, Corporate Research & Innovation Agricultural Projects bei Dr. Schär.

 

"Moderne agrarwirtschaftliche Züchtungen haben das Korn verändert, denn je mehr von dem Klebereiweiß Gluten im Getreide steckt, umso besser lassen sich Brot und Brötchen backen."

Dennoch kann man davon ausgehen, dass schon einige unserer Vorfahren empfindlich auf Gluten reagierten: Die ersten Beschreibungen einer Glutenunverträglichkeit reichen bis ins erste Jahrhundert nach Christus zurück. Der griechische Arzt Aretäus von Kappadokien beschreibt die Beschwerden in einem medizinischen Lehrbuch. Und benutzt als Erster das griechische Wort "koiliákos", also "an der Verdauung leidend". Der englische Kinderarzt Dr. Samuel J. Gee erkennt als einer der ersten im 17. Jahrhundert, wie wichtig eine Diät für Zöliakiepatienten ist. In Amerika schreibt 1908 Dr. Christian Herter ein Buch über Kinder mit Zöliakie. Auch ihm fällt auf, dass seine kleinen Patienten Fett besser vertragen als Kohlenhydrate. Aber erst während des Zweiten Weltkrieges findet der niederländische Kinderarzt Dr. Willem Karel Dicke eine Verbindung zwischen einer Zöliakie und Getreide: Als Brot und Mehl knapp sind und die Bevölkerung hungert, verbessert sich ausgerechnet bei seinen an Zöliakie leidenden Kindern der Gesundheitszustand. Zusammen mit einem Ärzteteam aus Birmingham kann Dr. Dicke 1952 auch beweisen, dass das Klebereiweiß Gluten für Zöliakie verantwortlich ist.

Die Dunkelziffer

Rund 60.000 Menschen in Deutschland haben Zöliakie. Tatsächlich liegt die Dunkelziffer aber weitaus höher: Mindestens 400.000 Personen sind von der Krankheit betroffen, ohne es zu wissen. In Österreich zeigt sich ein ähnliches Bild: Es sind zwar nur circa 8.000 Menschen diagnostiziert, man rechnet aber mit einer Dunkelziffer von rund 76.000 Betroffenen.

 

Insgesamt ist schätzungsweise ein Prozent der weltweiten Bevölkerung von Zöliakie betroffen.

Wer den Verdacht hat, dass der Verzehr von Gluten Beschwerden auslöst, sollte dies unbedingt durch einen Arzt abklären lassen. Dies geschieht z.B. durch einen Bluttest in Verbindung mit einer Dünndarmbiopsie (Zöliakie), einen Allergietest (Weizenallergie) oder klinisch durch ein Ausschlussverfahren (Gluten-/Weizensensitivität). Die Symptome der drei Krankheitsbilder sind dabei sehr ähnlich. Am häufigsten treten Verdauungsbeschwerden auf, gefolgt von unspezifischen Symptomen wie Hautproblemen, Erschöpfung und Kopfschmerzen oder Migräne.

Gluten-/Weizensensitivität

Bauchschmerzen, Blähungen, Übelkeit, Durchfall, Migräne und Völlegefühl - Gluten löst bei vielen Menschen Beschwerden aus und das oft sehr unspezifisch. Während Zöliakie und Weizenallergie gut erforscht sind, wird derzeit über eine neue Form der Gluten-Unverträglichkeit diskutiert: Gluten-/Weizensensitivität. Eine konkrete Diagnoseerstellung ist bislang noch nicht möglich, Zöliakie und Weizenallergie müssen aber zunächst medizinisch ausgeschlossen werden. Wie häufig Gluten-/Weizensensitivität auftritt, ist noch nicht erforscht. Experten vermuten jedoch, dass sie häufiger vorkommt als Zöliakie.

Hintergrund Zöliakie

In Deutschland ist die Zahl der Zöliakiebetroffenen hoch: Es sind zwar nur circa 70.000 Menschen diagnostiziert, man rechnet aber mit rund 400.000 Menschen, die von der Gluten-Unverträglichkeit Zöliakie betroffen sind, ohne es zu wissen. Das Klebereiweiß Gluten ist in zahlreichen Getreidesorten enthalten, unter anderem in Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel. Bei Menschen mit Zöliakie lösen bereits geringste Mengen Gluten eine chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut aus, mit zum Teil schwer wiegenden Symptomen. Die einzig mögliche Therapie der Zöliakie besteht in einer lebenslangen streng glutenfreien Ernährung.

Reizdarm

Eine aktuelle Studie der Charité Berlin zeigt, dass ein Drittel der Reizdarmpatienten positiv auf eine glutenfreie Ernährung reagieren und somit eine Weizensensitivität haben. Das Reizdarmsyndrom zählt zu den häufigsten chronischen Magen-Darm-Erkrankungen. Rund 15 Prozent der Bevölkerung sind betroffen - Frauen doppelt so häufig wie Männer.

Quelle: APA

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