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Zum Welt-Alzheimer-Tag: zunehmende Bedeutung der Prävention durch geeigneten Lebensstil

Zum Welt-Alzheimer-Tag: zunehmende Bedeutung der Prävention durch geeigneten Lebensstil

Die aktuelle Alzheimer-Forschung deckt zunehmend genetische und chemische Zusammenhänge auf, und gegenwärtig werden eine Reihe von Medikamenten in Studien getestet. Doch Durchbrüche in der medikamentösen Therapie, die in das Krankheitsgeschehen eingreifen und das Auftreten klinischer Beschwerden verzögern oder ganz verhindern, blieben bisher aus. Das unterstreicht die Bedeutung der Prävention durch einen geeigneten Lebensstil.

 

Aktuelle Studien zeigen, dass Alkoholkonsum auch in geringen Mengen die Demenz fördern kann, ebenso wie ein schlechtes Hörvermögen. Regelmäßige moderate Bewegung senkt das Demenz-Risiko. Neue Studien zeigen, dass bestimmte Herpes-Viren in einem Zusammenhang mit Alzheimer stehen können. Und das neue ATN-Klassifikations-Schema für Biomarker erleichtert es, Alzheimer auch sehr frühzeitig zu diagnostizieren, wenn noch keine kognitiven Symptome vorliegen. Das sind einige Botschaften von Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco (Wien), Präsident der Österreichischen Alzheimergesellschaft, und Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt (Graz; Österreichische Gesellschaft für Neurologie) zum Welt-Alzheimer-Tag am 21. September 2018.


Der Welt-Alzheimer-Tag wurde von Alzheimer’s Disease International (ADI) mit Unterstützung der WHO ins Leben gerufen.

Alzheimer gilt als gesundheitliche, gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Zeitbombe: Derzeit sind in Österreich geschätzte 100.000 Personen an Alzheimer erkrankt, diese Zahl wird bis zum Jahr 2050 auf 230.000 ansteigen – weltweit werden es dann mehr als 151 Millionen sein. Ursache dieser Entwicklung ist die älter werdende Gesellschaft,

so Prof. Schmidt. „Die Global Burden of Disease-Studie zeigt einen Anstieg von DALYS – eine Messgröße für durch Krankheit und vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre – von etwa 120 Prozent seit 1990.“


„Zum Thema Alzheimer und Demenz wird international mit Hochdruck geforscht, und es stehen eine Reihe neuer Studienergebnisse bevor, die es abzuwarten gilt, um deren Bedeutung für Patienten abschätzen zu können“, so Prof. Schmidt. „Zuletzt scheiterten allerdings einige Studien zu Alzheimer-Therapien, oder wurden wegen starker Nebenwirkungen abgebrochen.“


Ein Ziel ist, die Alzheimererkrankung bei symptomfreien Patienten mit erhöhtem Risiko für Demenz zu stoppen, bevor sich diese aktiv entwickelt. Dazu werden gegenwärtig biotechnologische Medikamente in klinischen Studien untersucht.

 

Erwartungen gelten auch den BACE1-Inhibitoren, die, anders als die Antikörper Bapineuzumab und Solanezumab, Beta-Amyloide – diese Proteine sind Hauptauslöser von Morbus Alzheimer und anderen demenziellen Erkrankungen – nicht entfernen, sondern ihre Produktion verhindern sollen. In Studien bewährt, so Prof. Dal-Bianco, habe sich die Therapie-Kombination von Cholinesterase-Hemmern und Glutamatrezeptor-Antagonisten: „Leider wird diese Kombination von den österreichischen Sozialversicherungen oft unsystematisch und inkonsequent refundiert.“


Dass es derzeit keine wirksamen Alzheimer-Medikamente gibt, unterstreiche die Bedeutung der Prävention.

Dass z. B. Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, Depressionen, Alkoholkonsum, Rauchen und Traumen Treiber von Alzheimer sind, ist bekannt. Mit Hilfe von Präventionsmaßnahmen würde jeder dritte gefährdete Mensch den Ausbruch seiner Krankheit nicht erleben,

sagt Prof. Dal-Bianco. „Inzwischen gibt es eine Reihe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Zusammenhänge zwischen dem Lebensstil und dem Auftreten von Alzheimer sehr konkret aufzeigen.“

 

Studien unterstreichen Zusammenhänge zwischen Bewegung, Übergewicht und Alzheimer

 

Das Ergebnis einer internationale Studie mit 121 Probanden mit beginnenden kognitiven Einschränkungen: Je fitter die Teilnehmer waren und je mehr sie sich im Alltag bewegten, desto besser waren ihre kognitiven Leistungen. Die Ergebnisse legen nach Ansicht der Studienautoren nahe, dass in der Frühphase kognitiver Beeinträchtigung körperliche Aktivität und Leistungsfähigkeit ein Marker für das Risiko künftigen kognitiven Abbaus sein können.

 

Eine Studie, die Auswirkungen körperlicher Bewegung im Alter mittels Bildgebung, Bluttests etc. auf den Gehirnstoffwechsel untersuchte, kommt zum Ergebnis, dass Bewegung kurzfristig mindestens einen nervenschützenden Effekt hat und langfristig das Fortschreiten der Demenz bremsen kann. Das Interesse gilt dabei besonders der Substanz Cholin als möglicher Hinweis auf einen wirksamen Nervenschutz.

 

Die Ergebnisse einer Metaanalyse von 39 größeren Studien zeigen Zusammenhänge zwischen Übergewicht und Demenz auf. Demnach schadet ein hoher BMI Wert auf lange Sicht, Übergewicht in der Mitte des Lebens könne das Demenzrisiko erhöhen.

 

Risikofaktor Alkohol – auch in geringen Mengen schlecht für das Gedächtnis

 

Auch die Bedeutung des Alkoholkonsums im Zusammenhang mit Alzheimer wird immer genauer erforscht. Eine Analyse der Daten von 31 Millionen französischen Patienten kommt zum Ergebnis, dass bei 38,9 Prozent der Patienten mit früh einsetzende Demenz (unter 65 Jahren) die Erkrankung maßgeblich dem Alkoholmissbrauch zuzuschreiben sei. Es zeigte sich ein um den Faktor 3,35 erhöhtes Risiko für eine Demenzerkrankung bei krankhaftem Alkoholmissbrauch, womit dieser den stärksten veränderbaren Risikofaktor für frühen Demenzbeginn darstellt. Die konsequente Abklärung des Alkoholkonsums und bei Bedarf eine therapeutische Intervention könne also manche Demenzerkrankungen verzögern oder verhindern.

 

Aber auch moderater Alkoholkonsum kann im Hinblick auf Alzheimer nicht mehr als harmlos gelten. Es zeigt sich, dass Alkohol selbst in geringer Menge langfristig eher schädlich für die Denkleistung ist. Ein weiteres Ergebnis der Studie: je mehr Alkohol in der Lebensmitte konsumiert wurde, desto schlechter sind die späteren Ergebnisse in den Leistungstests und das Episodengedächtnis, also die Fähigkeit, sich an Ereignisse zu erinnern.

 

Entzündungshemmende Medikamente verringern Alzheimer-Risiko

 

Aktuelle Daten von 236.000 Teilnehmern von 16 Kohrortenstudien zeigen im Rückblick, dass Menschen, die regelmäßig entzündungshemmende Medikamente (NSAR) einnehmen, um 20 Prozent seltener an Alzheimer erkranken als andere. Ob eine Behandlung mit NSAR auch vorbeugend eingesetzt werden könnte, welche Dosierung und welches Medikament optimal sei, und welche Patientengruppen von dieser Behandlung profitieren könnten – eventuell Menschen mit erhöhtem Alzheimerrisiko – muss noch durch gezielte klinische Medikamentenstudien geklärt werden, zumal NSAR schwere Nebenwirkungen haben können.

 

Wer schlecht hört, hat höheres Demenz-Risiko

 

Eine aktuelle Studie zeigt Zusammenhänge auf zwischen Hörproblemen und der Abnahme der Gedächtnisleistung, die durch den Einsatz von Hörgeräten im fortgeschrittenen Alter gebremst werden kann. Die durch besseres Hören geförderte Sinneswahrnehmung, Unterstützung der Teilnahme am Alltag und Fähigkeit zur sozialen Interaktionen könne dazu beitragen, geistig fit zu bleiben.

 

Neue Studien beschäftigen sich mit Zusammenhängen zwischen Herpesviren und Alzheimer-Demenz. Besonders die Herpesviren HHV-6A und HHV-7 fielen bei der Untersuchung von Alzheimer-Patienten auf. Die Alzheimer-Demenz könnte also die Folge eines aktiv gewordenen Abwehrsystems gegen bestimmte Herpesviren sein, womit sich neue Perspektiven in der Therapie eröffnen könnten: So könnten eventuell antivirale Medikamente bei Patienten mit einer frühen Alzheimererkrankung helfen, wenn diese eine hohe Menge bestimmter Herpesviren im Gehirn aufweisen. Eine erste Studie dazu hat im Februar 2018 in den USA begonnen.

 

Posttraumatische Belastungsstörung in jungen Jahren verdoppelt Demenzrisiko

 

Menschen, die in jungen Lebensjahren traumatische Erlebnisse durchmachen mussten, haben später ein erhöhtes Alzheimerrisiko. Forscher aus Deutschland konzentriert sich in einer aktuellen Untersuchung auf die posttraumatische Belastungsstörung (PTSB) in jungem Alter, die ab 65 Jahren zu einer Verdoppelung der Demenzentwicklung beiträgt. Die Studie zeigt, dass bei diesen Patienten das Protein Formin 2 in geringerer Menge hergestellt wird. Fehlt dieses Protein in jungen Mäusen, so entwickeln sie Symptome, die einer PTSB ähnlich sind. Bei diesen Mäusen bewirkte eine Behandlung mit Histon-Deacetylase-Hemmern eine Verbesserung der Gedächtnisleistung. Erste Studien mit Alzheimer-Patienten zu einer möglichen Behandlung mit Histon-Deacetylase-Hemmern sind bereits im Laufen.

 

Neue Diagnosekriterien für Alzheimerforschung

 

„Ein neues Positionspapier schlägt ein Klassifikations-Schema für Biomarker der Alzheimer-Krankheit vor, mit dem Alzheimer auch sehr frühzeitig diagnostiziert werden kann“, so Prof. Schmidt. Dieses so genannte ATN-System definiert drei Typen von Biomarkern; Aβ Biomarker legen fest, ob sich ein Individuum im Alzheimer-Kontinuum befindet. Pathologische Tau-Marker bestimmen, ob Alzheimer-Kontinuum und Alzheimer-Krankheit vorliegen. Über Neurodegenerationsmarker und kognitive Symptome wird der Schweregrad, aber kein bestehendes Alzheimer-Kontinuum definiert. Es erfolgt damit eine Klassifizierung jeder Person entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu einem von acht Biomarker-Profilen. Prof. Schmidt: „Diese Klassifikation erfolgt unabhängig von klinischer Präsentation, die Alzheimer-Krankheit kann damit auch in frühen Phasen diagnostiziert werden, wenn keinerlei klinische Symptome vorhanden sind. Offen bleibt aber wer von den Personen mit positivem Biomarkerprofil tatsächlich Demenz entwickeln wird. Die Kriterien sind für die Planung von Studien wichtig, für den klinischen Alltag sind sie nicht gedacht.“

 

Weltweit 82 Milliarden Stunden pro Jahr für Angehörigen-Pflege

 

Ein zunehmend akutes Problem mit der „Zeitbombe Alzheimer“ ist die Pflege betroffener Patienten, berichtet Prof. Dal-Bianco. ADI und das schwedische Karolinska Institut haben im Juli einen Report zu diesem Thema veröffentlicht, wonach die informelle Pflege von zu Hause lebenden Alzheimer-Patienten weltweit auf 82 Milliarden Stunden (2015) geschätzt wird. Das entspricht mehr als 40 Millionen Vollzeit-Jobs im Jahr 2015, 2030 werden es bereits 65 Millionen sein. 71 Prozent dieser Betreuungsleistungen werden von Frauen erbracht. Prof. Dal-Bianco:

In Österreich müsste die Pflegegeld-Einstufung verstärkt an die tatsächlichen Betreuungs-Erfordernisse angepasst werden, was leider oft nicht der Fall ist. Und ein deutlicher Ausbau von Beratungs- und Betreuungsangeboten für betreuende Angehörige ist dringend erforderlich.

Quelle: Medieninformation Bettschart & Kofler Kommunikationsberatung

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