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Menschliche Blutgefäße aus Stammzellen erstmals entwickelt

Menschliche Blutgefäße aus Stammzellen erstmals entwickelt

Wissenschafter des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) haben ihre Forschungen um ein weiteres Organoid-Modell erweitert: Es gelang ihnen, eine 3D-Gewebekultur zu etablieren, mit der sich Blutgefäße im Mikro-Maßstab untersuchen lassen. Als Modell eignet sich die in "Nature" präsentierte Technik beispielsweise zur Imitation von Diabetes-bedingten Gefäßschäden.

Diabetiker leiden als Spätfolgen ihrer Erkrankung oft an Gefäßerkrankungen,

sagte Dontscho Kerjaschki, ehemals Leiter des Klinischen Instituts für Pathologie der MedUni Wien im AKH und Co-Autor der wissenschaftlichen Untersuchung, gegenüber der APA.

 

Bei den großen Blutgefäßen sei das die schneller auftretende Atherosklerose mit Herzinfarkt, Schlaganfall etc. als mögliche Folgen.

Noch viel gefährlicher ist für sie aber die Mikro-Vaskulopathie, also die diabetische Gefäßerkrankung der kleinen Gefäße,

betonte Kerjaschki.

Besonders katastrophal ist das als Ursache der diabetischen Nierenerkrankung, wobei viele Zuckerkranke dialysepflichtig werden, oder bei der diabetischen Netzhauterkrankung (diabetische Retinopathie; Anm.).

Aus einem persönlichen Kontakt zwischen Kerjaschki und dem damaligen Chef des IMBA (Akademie der Wissenschaften), Josef Penninger, entwickelte sich schließlich die Arbeit an dem 3D-Organoid-Modell für Blutgefäße, wie es Reiner Wimmer und andere Mitarbeiter des Instituts schließlich schufen.

 

Es handelt sich um ein bis zwei Millimeter große "Modelle" für die Kapillargefäße des Menschen mit Endothelzellen als einen Hohlraum auskleidende Schicht sowie Perizyten als Stützzellen. Jürgen Knoblich (IMBA) hat vor Jahren erstmals derartige Organoid-Modelle entwickelt, zum Beispiel für das menschliche Gehirn. Im Prinzip ähnliche 3D-Gewebekulturen gibt es mittlerweile auch für den menschlichen Darm, die Prostata etc.


Für ihr Kapillar-Blutgefäßmodell ließen die Wissenschafter induzierte menschliche Stammzellen so ausdifferenzieren, dass sie funktionierende Mikro-Blutgefäße bildeten. Diese wurden in einer Versuchsanordnung schließlich in die Nieren von immundefizienten - also die humanen Zellen nicht abstoßenden - Mäusen implantiert.

Die Organoide wuchsen und überlebten zu mehr als 95 Prozent länge als sechs Monate,

schrieben die Wissenschafter in "Nature".


Als Modell eignet sich die Versuchsanordnung offenbar auch sehr gut für wissenschaftliche Forschung zum Thema der Mikrogefäß-Erkrankung bei Typ-2-Diabetikern. "Ein wesentliches Merkmal ist die Verdickung und zwiebelähnliche Struktur der Basalmembran dieser Blutgefäße. Hinzu kommt, dass die Endothelzell-Schicht undicht wird", sagte Kerjaschki. Diese Undichtheit führt beispielsweise bei der Netzhauterkrankung von Zuckerkranken zu den typischen Schäden des Augenhintergrundes und Erblindung auslösen.


Die Wissenschafter imitierten Typ-2-Diabetes im Labor, indem sie die Organoide hohen Zucker- und Entzündungsbotenstoff-Konzentrationen aussetzten. Bis hin zu elektronenmikroskopischen Untersuchungen zeigten sich im Miniatur-Maßstab die typischen krankhaften Veränderungen der Kapillargefäße. Die ersten und in Zukunft möglicherweise auch für die Suche nach neuen Präventions- und Therapiestrategien für die diabetische Gefäßerkrankung wichtigen Erkenntnisse zogen die Wissenschafter aus einem Test, bei dem sie die "zuckerkranken" Organoide mit einer ganzen Reihe von herkömmlichen, den Blutzuckerspiegel senkenden Antidiabetika-Medikamenten "behandelten". "Keines von ihnen hatte einen Effekt auf die Veränderungen der Blutgefäß-Organoide", sagte Kerjaschki.


Am ehesten wirkte ein Hemmstoff des Gamma-Sekretase-Enzyms (DAPT). DAPT reduzierte die Bildung des Gefäß-verdickenden Kollagen vom Typ IV und normalisierte das Entstehen von Endothelzellen. Laut den Untersuchungsergebnissen ist das offenbar durch einen Effekt auf die Expression des NOTCH3- Gens zurückzuführen. Gamma-Sekretase-Hemmstoffe wurden bisher als potenzielle Alzheimer-Medikamente erprobt.

Das Spannende an unserer Arbeit ist, dass es uns gelungen ist, echte menschliche Blutgefäße aus Stammzellen herzustellen. Unsere Organoide sind den menschlichen Kapillaren unglaublich ähnlich und erlauben uns erstmals, Blutgefäßerkrankungen direkt am menschlichen Gewebe zu untersuchen,

wurde Reiner Wimmer, Postdoc am IMBA und Erstautor der Studie in einer Aussendung zitiert.

Quelle: APA

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