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Leben mit Schmerzen

Leben mit Schmerzen

Leben mit Schmerzen

CredoWeb im Interview mit Schmerzexperten und ärztlichem Leiter des Therapiezentrums Justuspark in Bad Hall Prim. Prof. Priv. Doz. Dr. med. Michael Bach

 

CredoWeb: Wie viel vom psychischen Schmerz kann hinter einem körperlichen Schmerz stecken?

 

Prim. Prof. Priv. Doz. Dr. med. Michael Bach: Es wird heutzutage keine Unterscheidung mehr gemacht zwischen psychischen und körperlichen Schmerzen. Dies ist eine veraltete Sichtweise, dass es zwei Arten von Schmerz gibt.

Dies stimmt nämlich nicht: Schmerz ist immer Schmerz! Jeder Schmerz hat psychische und körperliche Anteile.

Selbst wenn Sie sich mit dem Hammer auf den Daumen hauen ist es nicht nur ein rein körperliches Phänomen. Wenn Ihnen zB jemand zuschaut, der Ihnen sympathisch ist, reagieren Sie anders, als wenn Ihnen jemand zuschaut, vor dem Sie Angst haben zB ein Vorgesetzter.


Dann ist die persönliche Schmerzreaktion eine ganz andere - obwohl es der gleiche Hammerschlag war!

 

Das heißt, Schmerz wird heute immer als psycho-somatisches Phänomen gesehen!

 

Auch bei einem Schmerz, für den man keine körperliche Ursache findet, kann man nicht davon ausgehen, dass das es ein rein psychischer Vorgang ist.

Nur weil man keine Ursache findet, heißt das nicht, dass keine da ist!

 

CredoWeb: Wie entstehen chronische Schmerzen und was passiert dabei in unserer Psyche?

 

Prim. Prof. Priv. Doz. Dr. med. Michael Bach:

Unter einem chronischen Schmerz versteht man einen Schmerz der länger als 3 Monate dauert, wobei die Chronifizierung bereits am 1. Tag beginnt und nicht erst nach 3 Monaten.

 

 

Das ist ein wichtiger Punkt! Man muss eigentlich gleich dagegen arbeiten und nicht erst nach einigen Monaten.

 

Chronifizierung kann auf körperlicher und auf psychosozialer Ebene gleichzeitig stattfinden.

 

Körperliche Ebene:

 

Auf körperliche Ebene zB wenn eine

 

  • Fehlhaltung,
  • Fehlstellung,
  • Entzündung,
  • Muskelanspannung oder
  • andere körperliche Prozesse
     

einfach länger dauern.

 

Bei der Chronifizierung ist typisch, dass sich der Schmerz von seiner Ursache verselbstständigt d.h. der ursprüngliche Auslöser ist womöglich gar nicht mehr relevant und es kann sein, dass dieser Auslöser durch ganz andere Mechanismen aufrechterhalten wird.

 

Dies lässt sich heutzutage im Nervensystem nachbilden. Die Nervenbahnen bzw. die Schalstellen, genannt Synapsen, welche die Schmerzinformation vom Körper zum Gehirn weiterleiten, werden immer empfindlicher. Das System wird sozusagen überaktiviert!

 

 

 

Psychosoziale Ebene:

 

Auf der psychosozialen Ebene spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle.

 

Zum Beispiel eine zunehmende depressive Verstimmung, durch

 

  • das lange Andauern der Situation,
  • frustrierende Behandlungsversuche,
  • wenn PatientInnen sich nicht ernst genommen bzw. nicht wahrgenommen fühlen von Ihren ÄrztInnen und TherapeutInnen,
  • Enttäuschungen, dass die Therapie nicht so funktioniert wie erhofft,
  • dass der eigene Körper nicht so funktioniert, wie man es erwartet,
  • Angst vor der Zukunft und/oder
  • Angst vor noch mehr Schmerz.
     

 

Alle diese emotionalen bzw. seelischen Faktoren tragen dazu bei, dass der Schmerz immer größer wird und man sich immer hilfloser fühlt & damit die Chronifizierung auch auf der psychosozialen Ebene anheizt.


Hinzu kommt ein sogenanntes "Doktor-Shopping" d.h. das vermehrte In-Anspruch-nehmen von ÄrztInnen und Gesundheitseinrichtungen.

 

 

Das Abklappern dieser als verzweifelter Versuch irgendwo noch eine Lösung zu finden.

Das nennt man auch „blinder Aktionismus“, wenn man von einem zum anderen rennt, aber kein Konzept wirklich konsequent umsetzt.

 

Noch ein wichtiger Punkt ist die Externalisierung von Attributionen:

 

Eine Attribution ist ein Bedeutungszusammenhang d.h. ich erkläre mir eine bestimmte Sache auf eine ganz bestimmte Art und Weise.
Wir können entweder intern oder extern attribuieren.


Hier ein Beispiel:

 

Wenn ich mir die Ursache meiner Schmerzen erkläre, kann ich entweder sagen:

 

  • "Ich habe heute Kopfschmerzen & das liegt daran, dass heute Wetterwechsel ist." (= externe Attribution d.h. ich suche die Ursache außerhalb von mir)
     

 


Ich kann aber auch sagen:

 

  • "Ich habe heute Kopfschmerzen & das liegt daran, dass ich gestern zu spät ins Bett gegangen bin." (= interne Attribution d. h. ich suche die Ursache innerhalb von mir)

 

Auch bei der Frage "Wer kann mir helfen?" unterscheiden wir:

 

  • Externe Attribution: „Ich habe heute Kopfschmerzen, also rufe ich jetzt die Rettung oder gehe zum Arzt.“ D.h. ich suche mir Hilfe von außen.
     
  • Interne Attribution: „Ich habe heute Kopfschmerzen, also mache ich erstmal einen Spaziergang oder rufe meine beste Freundin an.“ D.h. ich selbst habe die Kompetenz mir zu helfen.

 

 

Viele Studien haben gezeigt, desto länger ein Schmerz dauert, umso mehr externalisieren wir unsere Erklärungen d.h. wir suchen die Ursache und auch die Lösung des Problems außerhalb von uns selbst.

Auch das verstärkt die Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit & lässt den Schmerz stärker chronifizieren.


CredoWeb: Was bewirkt Stress in unserem Körper & wie begünstigt er die Entstehung von Schmerzen?

 

Prim. Prof. Priv. Doz. Dr. med. Michael Bach:

Hier kann man verschiedene Dinge anführen:

 

  1. Stress löst Hormonreaktionen aus zB das Stresshormon Adrenalin oder Cortisol & dies hat natürlich auch Einfluss auf das Immunsystem und auch auf die Schmerzwahrnehmung oder Schmerzverarbeitung.
  2. Stress verursacht aber jedoch auch psychische Vorgänge, die auch wiederum den Körper beeinflussen zB kann Stress Unruhe und Nervosität auslösen & das führt dazu, dass die Muskeln sich anspannen oder man eine Fehlhaltung einnimmt d.h. man steht nicht mehr aufrecht und gerade sondern gekrümmt oder man zieht die Schultern hoch. Dadurch wird die Schmerzentstehung begünstigt.

 

 

CredoWeb: Wann ist eine psychologische bzw. psychotherapeutische Hilfe bei Schmerzen sinnvoll?

 

Prim. Prof. Priv. Doz. Dr. med. Michael Bach:

Im Prinzip ist bei jeder Art von Schmerz, der längerfristig andauert eine psychische bzw. psychotherapeutisch Abklärung sinnvoll.

 

Es braucht nicht jeder chronische Schmerzpatient eine Psychotherapie, aber es sollte bei einem Schmerz, der länger als 3 Monate stattfindet, eine Abklärung stattfinden.

 

Und zwar aus folgendem Grund:


Weil wir wissen, wenn zB zum Schmerz eine Depression hinzu kommt, dann verstärkt sich das Gefühl gegenseitig und führt zur Chronifizierung sowohl der Schmerzen als auch der Depression!

Man könnte in diesem Fall leicht eine Depression, Angsterkrankung oder eine andere psychiatrische Diagnose übersehen & deswegen sollte dies unbedingt abgeklärt werden.

 

Wenn eine zusätzliche psychische Diagnose vorliegt, sollte man diese in jedem Fall mitbehandeln und nicht nur rein den Schmerz.

 

Es gibt eigene Therapiemethoden, die direkt auf den Schmerz abzielen - ein sogenanntes psychologisches Schmerzbewältigungstraining!

 

Hier lernen die PatientInnen, wie man aus der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit rauskommt & aus ihrer Passivität wieder aktiv den Schmerz beeinflusst durch Entspannungsübungen, Achtsamkeitsübungen, Selbsthypnose usw..

 

Hier gibt es verschiedene psychologische Techniken und Werkzeuge, wie man letztendlich wieder lernen kann, sich selbst zu helfen.

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

 

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