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Wenn Kinder zum Frauenarzt müssen

Wenn Kinder zum Frauenarzt müssen

Wenn Kinder zum Frauenarzt müssen

 

Ein Interview mit Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, sowie Expertin für Kindergynäkologie Dr. med. Heidrun Flores-Genger aus Wien

 

CredoWeb: Mit welchen Beschwerden oder Anliegen kommen Mädchen im Kindesalter am häufigsten zu Ihnen in die Praxis?

 

 

Dr. med. Heidrun Flores-Genger:

 

Das Fachgebiet der Kindergynäkologie fängt praktisch bei den Neugeborenen an & erstreckt sich bis zur Pubertät.

Entscheidend ist die Kenntnis der altersabhängigen, physiologischen Entwicklung, um die Normvariante von pathologischen Veränderungen unterscheiden zu können.

 

Meist kommen die 3-4-jährigen Mädchen aufgrund von Ausfluss, was mit einem Brennen und Jucken der Scheide einhergeht, sowie auch infolge von Harnwegsinfekten, zur Untersuchung.

 

Primär liegt die Aufgabe in der Kindergynäkologie meist in der Beratung und Beruhigung der Eltern, vor allem bei den kleineren Kindern.

 

Bei Ausfluss wird zu viel therapeutisiert, sprich zu viel Antibiotika verordnet, die lokal oder oral verabreicht werden – jedoch sind meistens nur Hygienemaßnahmen notwendig.

 

Was ebenso vorkommt, sind Labialsynechien, d.h. die inneren Schamlippen sind verklebt. Hier wird oft unnötig operiert – Pflegemaßnahmen und Beratung sind hier sinnvoller.

 

 

Auch Vulvaveränderungen oder Vulvaverschlüsse führen in die Sprechstunde.

Diese Veränderungen können einen Geschlechtsverkehr unmöglich machen, sodass eine Therapie notwendig ist - entweder konservativ oder mithilfe einer kleinen Operation.

 

Ein Scheidenseptum (= angeborene anatomische Fehlbildung der Scheide) kann ebenfalls operiert werden müssen, jedoch ist dies nicht immer der Fall.

 

Ein akuter Fall in der Kindergynäkologie liegt vor, wenn sich die Mädchen zB Tampons einführen und nicht mehr herausbekommen.

 

Es kommt generell immer wieder vor, dass sich Fremdkörper in der Scheide befinden. Hier ist besondere Aufmerksamkeit geboten, denn manchmal sagen Kinder, sie haben etwas reingesteckt und dann findet man jedoch nichts, und umgekehrt.

Auf Fremdkörper untersucht wird mithilfe des sogenannten Vaginoskops. Eine Untersuchung mit dieser speziellen Gerätschaft ist nicht schmerzhaft, das Kind muss jedoch darauf vorbereitet werden. In seltenen Fällen muss die Vaginoskopie in Kurznarkose durchgeführt werden (zB bei Fremdkörperentfernung).

 

Bei chronischen, unspezifischen Bauchschmerzen werden Mädchen ebenso vom Kinderarzt zu uns überwiesen zB Bauchschmerzen aufgrund von Ovarialzysten (= Eierstockzysten).

 

 

Was auch immer wieder vorkommt, ist die „Beschwerde“ über asymmetrisches Brustwachstum. Manchmal wünschen sich die 15-16-jährigen Mädchen Brustoperationen, die dieses „Problem“ beheben, wovon selbstverständlich abgeraten wird. Jegliche Brustveränderungen sollten nicht vor der abgeschlossenen Entwicklung stattfinden.

 

 

CredoWeb: In welchem Alter ist es normal die erste Regelblutung zu erwarten? Können dies bestimmte Faktoren auch beeinflussen?

 

 

Dr. med. Heidrun Flores-Genger:

Dies ist meist genetisch bestimmt und hängt auch vom Typ und von der Herkunft ab.

 

Der Zeitpunkt der Menarche (= Einsetzen der 1. Regelblutung) ist kein absoluter, sodass oft nur eine Beratung & keine Behandlung nötig ist.

Manchmal setzt die erste Regelblutung auch schon mit 8 Jahren ein. Bei Südländerinnen ist es prinzipiell meist früher.

Bei uns in Österreich liegt das Alter meist bei 10-11 Jahren.

 

Jedoch gibt es auch Mädchen, die ihre erste Regelblutung erst mit 18 bekommen.

Man sieht anhand der sekundären Geschlechtsmerkmale, wie der Entwicklungsstand des Kindes ist. Das Hormon Östrogen bewirkt die Brustentwicklung, Schambehaarung etc..

 

Wenn man keinen Hinweis auf eine normale Östrogenproduktion in diesem Sinne sieht, kann dies zB genetische Ursachen haben. Es ist aber auch möglich, dass man bei der Untersuchung feststellt, dass der Scheideneingang verschlossen ist und es womöglich deswegen zu keiner Blutung kommt.

 

Wenn bis 15 noch keine Blutung eingesetzt hat, eruiert man einen Hormonstatus via Blutabnahme. Dieser ist jedoch erfahrungsgemäß in den seltensten Fällen auffällig (zB bei AGS (= Adrenogenitale Syndrom = vererbte Stoffwechselkrankheit).

Extremsport oder Essstörungen wirken sich auf den hormonellen Haushalt aus und können ein verspätetes Einsetzen der 1. Regelblutung verursachen.

 

 

 

CredoWeb: Wie lange dauert die Pubertät im Normalfall und was passiert dabei in unserem Körper?

 

 

Dr. med. Heidrun Flores-Genger: Dies ist eine sehr schwierige Frage, da man das überhaupt nicht pauschal sagen kann.

Definitionsgemäß ist die Pubertät der entwicklungspsychologische Verlauf der Geschlechtsreife mit der körperlichen Entwicklung (d.h. Geschlechtshormone werden vermehrt freigesetzt, die Organentwicklung beginnt).

 

Die Pubertät findet schon zeitgleich mit der körperlichen Reife statt und man sagt auch „die Hormone spielen verrückt“, aber der ausschlaggebende Punkt ist hier, ob jemand eine in-sich-ruhende Person ist oder nicht. Das hängt sehr viel von der Umgebung, von der Erziehung etc. ab - es gibt viele Faktoren, die hier eine Rolle spielen.

 

Es ist jedoch vom medizinischen her nicht so zu erklären: "Die Hormone sind so und so hoch und deswegen ist das Verhalten in der Pubertät so und so!“.

 

Natürlich findet eine hormonelle Umstellung statt, aber die Hormone schwanken ja immer im Laufe des Lebens. Man kann es nicht wirklich vorhersagen und es gibt hier kein Schema.

 

Es kommt wirklich darauf an, wie man persönlich mit dieser Phase umgeht. Die einen Eltern schicken die Kinder bei problematischem Verhalten zur Psychologin/zum Psychologen, wiederum andere schicken sie zum Sport.

 

Die Versuche damit umzugehen sind also sehr unterschiedlich.

Es hängt sehr stark von der Einstellung bzw. der Philosophie der Eltern ab.

 

Die einen empfinden diese Phase als fürchterlich, die anderen sagen: "Naja das ist halt so.". Es kommt auch darauf an, wie liberal jemand ist oder auch zB welcher Religion man angehört.

Die Pubertät ist neben dem medizinischem, ein sehr ausgeprägt soziologisches Phänomen.

 

Hier noch ein Tipp an die Eltern: Wenn Eltern besonnen reagieren, werden Sie dies dem Kind auch so weitergeben können.

 

 

Ein weiterer Grund für einen Besuch in der Kindergynäkologie ist übrigens der Verdacht auf Missbrauch.

Das ist ein weiteres äußerst heikles Thema.

Die Aufgabe des Kindergynäkologen ist es, primär festzustellen, ob eine körperliche Verletzung vorliegt.

Wenn äußerlich nichts zu sehen ist, heißt das aber noch lange nicht, dass kein Missbrauch vorliegt.

 

Bei Verdacht auf Missbrauch wird das Kind erstmals zusammen mit der Begleitperson auf die Kinderstation gebracht. Dadurch ergibt sich ein längerer Beobachtungszeitraum. Dann wird meistens die Kinderpsychologin hinzugezogen.

Hier entscheidet und beobachtet ein ganzes Team.

 

Wenn Sie zu diesem speziellen Thema weitere Fragen haben oder Sie diesbezüglich Hilfe benötigen, besuchen Sie bitte die folgende Website: https://www.gewaltinfo.at/

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

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