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SARS-CoV 2002 vs. SARS-CoV-2 2020 sowie Antworten auf Fragen wie „Wann dürfen Großeltern ihre Enkel wieder sehen?“

SARS-CoV 2002 vs. SARS-CoV-2 2020 sowie Antworten auf Fragen wie „Wann dürfen Großeltern ihre Enkel wieder sehen?“

Ein Interview mit Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss, dem geschäftsführenden Direktor des Departments für Innere Medizin an der MedUni Innsbruck. Ebenso ist er Facharzt für Innere Medizin, internistische Intensivmedizin, Rheumatologie & Infektiologie und Tropenmedizin und kämpft Tag für Tag gegen COVID-19.

 

CredoWeb: Wann ist SARS-CoV damals ausgebrochen und was sind dessen Eigenschaften?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss:

SARS-CoV ist damals in der Provinz Guangdong in China, im Herbst 2002 das erste Mal aufgetreten.



Die Eigenschaften waren am Anfang ähnlich wie bei der Grippe, sprich

 

  • Fieber,
  • Kopfschmerzen und
  • Muskel- und Gelenkschmerzen.

 

Jedoch traten nach einer gewissen Verzögerungszeit von ca. 3-10 Tagen zusätzlich Atemproblemen auf, die dazu geführt haben, dass einige dieser Patienten, und das waren nicht unerheblich viele, intensivmedizinische Behandlung in Anspruch nehmen mussten.

 

CredoWeb: Wie hat man den Ausbruch damals in den Griff bekommen?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Zuerst einmal muss man sagen, dass man den Ausbruch damals erst nach einer gewissen Zeit erkannt hat, wo das Virus schon längst in andere Länder exportiert war.

Erst wie es schon die ersten Fälle zB in Kanada gegeben hat, ist man draufgekommen, dass es zwar am Anfang wie eine Gruppe aussieht, aber dann doch etwas anderes ist.

Ein großer Unterschied bei SARS-CoV damals war, dass das Virus aerogen übertragen wurde d.h. es wurde über weitere Strecken durch die Luft übertragen.

 

In den Griff bekommen hat man es dann letztendlich durch sehr restriktive Isolationsmaßnahmen d.h. es wurde eine Quarantäne ausgerufen, wo die Menschen Ihre Häuser nicht verlassen durften und dies hat letztendlich zum Verschwinden dieser Infektion geführt.

 

 

CredoWeb: Inwieweit unterscheidet sich SARS-CoV von SARS-CoV-2?


Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss:

Wie schon gesagt, gibt es einen wesentlichen Unterschied in der Übertragung der Erkrankung. SARS-CoV wurde aerogen übertragen, unser aktuelles SARS-CoV-2 wird über die sogenannte Tröpfcheninfektion übertragen.


Inwieweit damals 2020 die Schmierinfektion eine Rolle gespielt hat, kann man schwer sagen.

 

Die zweite Unterscheidung ist, dass es damals eine relativ hohe Mortalitätsrate gab, die wahrscheinlich noch höher war als bei der aktuellen COVID-19-Infektion.

 

Bei SARS-CoV ist man damals davon ausgegangen, dass ungefähr 10% der klinisch auffälligen Patienten, verstorben sind.

 

Bei COVID-19 ist die Sterblichkeitsrate noch schwer zu eruieren, da wir unterschiedliche Zahlen haben und man nicht genau weiß, was man glauben soll. In Italien sind es laut Zahlen auch fast 10%, in China waren es knapp 3%.

Bei der jetzigen Infektion scheint es so zu sein, dass wenn ich früh genug interveniere, sprich mit einer Atemtherapie beginne und eine Verschlechterung gleich erkenne, ich bessere Chancen habe, dass der Patient nicht so weit in dieses Lungenversagen kommt, wie es jetzt leider oft der Fall ist.

 


CredoWeb: Wie erfolgt die Diagnostik & wann macht der Schnelltest überhaupt Sinn?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Die Diagnosestellung ist einerseits die Symptomatik, wobei die Symptomatik natürlich jetzt ein etwas weiteres Spektrum hat und nicht mehr ganz so klassisch ist.

 

Natürlich teste ich, wenn jemand Beschwerden hat, und meistens sind dies Atemprobleme, Fieber und/oder Husten, wobei die Atemprobleme meistens erst später kommen.

Manche haben auch begleitend Durchfall, Übelkeit und/oder Muskel- und Gelenksschmerzen.

 

Also es ist ein bisschen ein Sammelsurium von Symptomen, die auch häufig bei unspezifischen grippalen Infekten auftauchen.

 

Das Fieber muss auch nicht unbedingt sehr hoch sein und manche haben sogar überhaupt kein Fieber, sondern nur die anderen Beschwerden.

 

Der Test erfolgt momentan mit einer sogenannten Polymerasekettenreaktion d.h. es wird ein Abstrich aus dem Nasen-Rachen-Raum gemacht und anschließend wird versucht, die Erbinformation des Virus, also die RNA (= Ribonukleinsäure), nachzuweisen.

Die gängigen Verfahren brauchen derzeit ein paar Stunden, bis man das Ergebnis hat.

 

Für die Akutdiagnose NICHT geeignet sind die serologischen Tests, wobei man die Antikörper bestimmt. Die Antikörper brauchen einfach eine gewisse Zeit, um nachweisbar zu sein.

Hier geht man von einem Zeitraum von 7-14 Tagen aus, bis man sie überhaupt serologisch nachweisen kann.

 

 

CredoWeb: Wie läuft die Erkrankung COVID-19 bei den schweren und wie bei den leichteren Fällen ab?

 


Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Wir sehen hier unterschiedliche Muster.

 

Einerseits gibt es die leichteren Fälle, welche für ca. 2-4 Tage Fieber (bei manchen auch subfebril 1 Woche), Gelenks- und Muskelschmerzen und Husten haben und dann ist der ganze Spuk vorbei und sie sind nach mehreren Tagen bis nach 1 Woche wieder gesund.

 

Andererseits gibt es diejenigen, die ein bisschen Atemprobleme entwickeln, wo es oft ein bisschen prolabiert verlauft und die Erkrankung vielleicht 10 Tage lang dauert.


Bei den schweren Verläufen wissen wir leider noch nicht, worin das klassische Risiko liegt.

Bei diesen Fällen fängt es so wie beschrieben an, am Anfang ein bisschen Gelenks- und Muskelschmerzen, ein bisschen Husten – die Patienten sind zuhause, es geht ihnen nicht so schlecht und auf einmal nach 1 Woche verschlechtert sich der Zustand und sie kriegen Atemnot.

 

Hier ist es wichtig, dass sie frühzeitig ins Krankenhaus kommen!

 

Diese Patienten haben dann offensichtlich diese 2. Phase der Erkrankung erreicht, wo es zu dieser massiven Verschlechterung der Atemsituation kommt.

 

Man versucht das so gut es geht konservativ zu managen - ein spezifisches Medikament haben wir ja noch nicht.


Wenn diese Fälle zu spät ins Krankenhaus kommen, brauchen sie meistens schon einen intensivmedizinsichen Support.

 

 

Das sind die typischen Krankheitsbilder, die wir jetzt sehen.

 


CredoWeb: Stimmt es, dass mehr Männer wie Frauen betroffen sind?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Das stimmt nicht ganz!

Was man sieht ist, dass Frauen gleich häufig wie Männer betroffen sind.

Wobei in Österreich Frauen sogar ein bisschen häufiger betroffen sind, was aber auch mit der Demographie zusammenpasst, da es ein wenig mehr Frauen wie Männer in Österreich insgesamt gibt.

In China ist die Zahl der Intensivpatienten und Todesraten bei Männern viel höher.

Hier sind fast doppelt so viele Männer wie Frauen gestorben.

 

Hier drängen sich nun Fragen auf wie zB ob das tatsächlich ein geschlechtsspezifischer Unterschied ist, ob sich die Krankheit einfach anders ausprägt oder ob es andere Risikofaktoren gibt.

 

In China war es so, dass ein wesentlicher Risikofaktor MANN + RAUCHEN war/ist. Also kann es durchaus sein, dass dort primär Männer rauchen & die Frauen weniger & dass sich diese Zahl deswegen verschoben hat.

 

Hierzu wäre es sehr interessant die Zahlen von anderen Ländern heranzuziehen.

 


CredoWeb: Ist „Fieber" ein sicheres Zeichen für das Virus oder kann man auch fieberfrei sein & einen schweren Verlauf haben?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss:

 

Es ist so, dass die Patienten mit einem schweren Verlauf fast alle Fieber haben. Es ist aber auch so, dass je älter ein Patient ist, desto weniger häufig tritt Fieber auf.

 

Aber das allein am Fieber festzumachen ist schwierig. Wenn ich zB jemanden mit akuter Atemnot habe, welcher vielleicht schon länger einen grippalen Infekt hat & akut aber fieberfrei ist, kann er diese Infektion trotzdem haben. Also das Fieber als Ausschluss- oder Einschlusskriterium zu nennen ist oft problematisch.

Am Anfang hat jedoch der Großteil Fieber.

 

CredoWeb: Welche Medikamente kommen bei der Behandlung in Frage? In wissenschaftlichen Quellen werden verschiedene Möglichkeiten gegen Symptome genannt, aber auch antivirale Medikamente zB gegen HIV. Was genau wird in Österreich gemacht?

 


Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Bisher gibt es kein zugelassenes Medikament - das Virus kennen wir ja erst seit 3 Monaten, d.h. momentan versucht man sich an verschiedenen Medikamenten.

 

Zuallererst ist uns die symptomatische Therapie wichtig, d.h. Menschen die Atemprobleme haben, mit einer entsprechenden Atemtherapie, Physiotherapie, Inhalation mit Antiseptika, Flüssigkeitsmanagement usw. zu behandlen, um die Beschwerden zu lindern.

 

Das was wir betreffend einer antiviralen Therapie versuchen, ist dieses sogenannte Avigan oder Favilavir. Das ist ein RNA-Polymerasehemmer und wurde eigentlich für die Grippetherapie entwickelt.

 

Das was wir auch zB bei leichteren Fällen verwenden, ist das Hydroxychloroquin. Das ist ein Medikament, welches man für die Behandlung von rheumatologischen Erkrankungen kennt.

Wobei hierbei das Problem darin liegt, dass das Medikament durch die jetzige Verwendung als empirische Therapie für die COVID-19-Infektion, für Leute weniger zur Verfügung steht, die es als Dauertherapie brauchen, zB Menschen mit einem systemischen Lupus erythematodes.

Gewisse Länder kaufen diese Medikamente alle auf & somit steht es unseren Patienten nicht mehr zur Verfügung, was ein großes Problem darstellt und einen entsprechendern Kollateralschaden verursachen kann.



Was wir nicht verwenden sind die Anti-HIV-Wirkstoffe Lopinavir/Ritonavir. Diese wären auch eine Option – sind aber in Österreich nicht verfügbar.

 

Es wird demnächst auch klinische Studien geben, wo auch wir uns an der MedUni Innsbruck, an einer Studie beteiligen werden. Und zwar an einer Studie mit dem „Angiotensin-konvertierendem Enzym 2“, welches auch schon öfters in Medien war.

 

 

Rekonvaleszenten-Plasma ist ebenso eine Option, wobei man aber auch nicht genau weiß, wie gut es wirkt. Das heißt, man ersucht diejenigen, welche die Erkrankung überstanden haben & auskuriert sind, ihr Plasma zu spenden. In deren Blutplasma sind bereits Immunglobuline gegen das Virus vorhanden, welches den schwer Erkrankten dann verabreicht werden kann.

Das hat man auch bei Ebola versucht & es hat nicht so schlecht funktioniert.

 

Das was noch in den Medien herumgeistert, ist das sogenannte Anti-Interleukin-6. Das ist ein humanisierter, monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor zur Behandlung von zB rheumatoider Arthritis. 



Die Anwendung ist jedoch nicht ganz einfach:

 

Einerseits schaltet man durch das Anti-Interleukin-6 einen wesentlichen Immuneffekt-Mechanismus gegen Infektionen ab und erhöht dadurch das Risiko für virale und bakterielle Infektionen und somit kann man im schlimmsten Fall den Patienten mit dieser Therapie, wenn dieser beispielsweise eine bakterielle Superinfektion hat, umbringen.

 

Andererseits kann das Anti-Interleukin-6 beim akuten respiratorischen Distress-Syndrom, kurz ARDS (lebensgefährliche akute Schädigung der Lunge), vielleicht helfen.

Wobei wir bei so einem Verdachtsfall eher Corticosteroide (in der Nebennierenrinde gebildeten Steroidhormone) einsetzen, weil diese eine viel kürzere Wirkungszeit haben im Gegensatz zu einem Biologikum, wie das Anti-Interleukin-6.

Dieses wirkt nun mal 1, 2 oder auch bis zu 4 Wochen - d.h. ich kann die Wirkung dann nicht mehr umdrehen, wobei ich das beim Einsatz von Corticosteroiden machen kann.

 

Man lernt also jeden Tag dazu.

 

CredoWeb: Kann man schon sagen, ob die Maßnahmen, welche von der Regierung bis jetzt getroffen wurden, Wirkung zeigen?

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Es sind nun 14 Tage nach Beginn der ganzen Geschichte und ich denke, dass man jetzt allmählich sehen wird, ob die Zahl der Neuinfektionen zurückgeht.

 

Wenn es nicht wirkt, dann ist es nachvollziehbar, dass die Regierung strengere Maßnahmen setzen wird.

Ein Hauptproblem ist die Compliance der Leute. Es nutzt nämlich nichts, wenn sich 90% an die Maßnahmen halten und 10% nicht. So müssen die 90%, welche diszipliniert zuhause bleiben, die Zeche für diese unvernünftigen 10% zahlen.

 


CredoWeb: Wie lange wird diese Phase Ihrer Meinung nach noch andauern oder anders formuliert: Wann dürfen die Großeltern Ihre Enkel wieder besuchen?

 

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Sehr gute Frage!

 

Das kann man aber schwer sagen. Es hängt jetzt wirklich davon ab, wie sich DIESE Woche noch entwickelt und ob in dieser Woche, sozusagen der Turn-Around, stattfindet, sodass die Zahl der Neuinfektionen zurückgeht.

 

Gerade in Tirol, wo die Maßnahmen am strengsten waren, haben wir auch viele Fälle. Ich habe jetzt nicht mehr 200 Neuinfektionen pro Tag, sondern nur mehr 180 und am nächsten Tag vielleicht nur mehr 160.

Hier wird man sich anschauen, wie weit die Zahl der Infektionen heruntergeht und dann geht es, glaube ich, auch darum, ein intelligentes Regime zu finden, wie man schön langsam wieder zum normalen Leben zurückfindet.

Ich gehe davon aus, dass der April noch ein Monat in Quarantäne sein wird bzw. 1 Monat wo dann eventuell gegen Ende hin mit einem Übergang zur Normalität begonnen werden kann, wenn es gut lauft.

 

 

CredoWeb: Bitte geben Sie Ihre persönliche Prognose der Situation ab!

 

Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss: Es ist äußerst schwierig, eine Prognose abzugeben. Auch die Hoffnung, dass die Virusübertragung vielleicht nicht mehr so leicht stattfindet, wenn das Wetter wärmer und feuchter wird, ist problematisch.

Das Problem ist ja, dass sich die meisten nicht im Freien oder im Krankenhaus infizieren, sondern vielmehr zuhause im persönlichen Umfeld oder am Arbeitsplatz.

 

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

 

Interview zum Vortrag vom 17.03.2020 GIFTIGER DIENSTAG SPEZIAL "CORONAVIREN von SARS über MERS zu SARS-CoV-2"
https://infektiologie.co.at/

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