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Neurorehabilitation nach Schlaganfall: Was ist möglich und was nicht?

Neurorehabilitation nach Schlaganfall: Was ist möglich und was nicht?

Ein exklusives Interview mit Dr. med. Ute Witzani aus Vorarlberg. Sie ist Fachärztin für Neurologie und am LKH Rankweil als Oberärztin tätig.

CredoWeb: Welche realistischen Ziele setzt man sich in der Neuroreha nach einem Schlaganfall?

 

Dr. med. Ute Witzani:

Grundsätzlich ist es so, dass dies von der jeweiligen Befindlichkeit des Patienten, sowie letztendlich von den individuellen Lebensumständen abhängt.


 

Es macht auch immer einen Unterschied, ob

 

  • der Patient zuhause oder in Heimbetreuung ist,
  • inwieweit seine Familienzugehörigkeit ist und
  • ob er noch ins Alltagssystem eingebunden ist.

 

Also lässt sich das pauschal gar nicht beantworten.

 

 

CredoWeb: Hängt dies also im Prinzip mit dem individuellen Zustand der Patientin/des Patienten zusammen?

 

 

Dr. med. Ute Witzani: Das hängt tatsächlich von sehr vielen Faktoren ab.

Deshalb ist es auch immer wichtig, mit dem Patienten zu besprechen, was er sich von der Reha erwartet.

 

Man stellt vor allem in der Rehabilitation, die Teilhabe am Alltag in den Vordergrund.

Teilhabe am Alltag kann für den einen bedeuten, dass er tatsächlich Spaziergänge machen kann und für den anderen vielleicht, dass er wieder eigenständig auf die Toilette gehen kann.
Diese Ansprüche sind somit von Patient zu Patient sehr individuell.

 

 

CredoWeb: Wie läuft eine Rehabilitation nach einem Schlaganfall ab?

 

Dr. med. Ute Witzani: Im Prinzip ist es so, dass der Patient in einem Rehabilitationszentrum oder auch in der ambulanten Reha zuerst einmal aufgenommen und begutachtet wird.

 

Es erfolgt das Erstgespräch, welches idealerweise interdisziplinär geführt wird. Das bedeutet, dass Gespräche mit dem behandelnden Arzt, diversen Therapeuten und wenn notwendig auch mit einem Sozialarbeiter stattfinden.

Viele Patienten werden durch einen Schlaganfall aus dem alltäglichen Leben herausgerissen, das sie bis dato geführt haben. Je schwerer der Patient betroffen ist, desto weitreichender ist der Verlust der Selbstständigkeit.

 

Dementsprechend ist es oft notwendig zu sagen, wir behandeln, therapieren oder rehabilitieren in den Bereichen, wo es notwendig ist und gleichzeitig sorgen wir in sozialarbeiterischer Unterstützung dafür, dass sie entsprechende Hilfen im Alltag bekommen.

 

Das kann von der 24-h-Pflege bis zum Aushelfen durch Einkaufs-Botengänge reichen, die Pflegedienste leisten können.

 

 

CredoWeb: Gibt es Therapieoptionen, die sich in den letzten 10 Jahren etabliert haben?

 

 

Dr. med. Ute Witzani:

 

Im Prinzip werden in der Reha alle ursprünglichen Sinne erneut aktiviert und angesprochen. Das betrifft mit Physio- und Ergotherapie die Motorik auf der einen Seite, sowie in weiterer Folge die Logopädie und die Neurorehabilitation auf der anderen Seite.



Physiotherapie:

 

Die Physiotherapie behandelt nicht nur

 

  • die Beweglichkeit der Gliedmaßen, sondern auch
  • die Stabilität des Rumpfes,
  • die Gangsicherheit,
  • mitunter auch die Kondition und
  • die körperliche Verfassung,

 

die man immer mitbedenken muss.

 

 

Ergotherapie:

 

In der Ergotherapie wird die Sensibilität und Beweglichkeit in der Armmuskulatur und generell des Armes therapiert, aber auch Dinge wie Orientierung im Raum oder Alltagsaktivitäten, werden hier mitbehandelt.

 

Der Ergotherapeut ist oftmals auch dafür zuständig, mit dem Patienten zu trainieren, wie gehe ich einkaufen und wie gehe ich was an.

Das gehört auch dazu, weil nach einem Schlaganfall oft nicht nur die Sensorik oder das Sprachzentrum betroffen sind, sondern auch das räumliche Denken und die Konzentrationsfähigkeit.

 

 

Oft gibt es auch Defizite im Gesichtsfeld. Diese Patienten sehen zum Teil nicht mehr alles, was sie sehen könnten, weil das Gesichtsfeld einschränkt ist.

 

 

Logopädie

 

Die Logopädie behandelt Sprach- Sprech- und Schluckstörungen, die ebenfalls im Zuge von Schlaganfällen auftreten können.

 

Neuropsychologie:

 

Die Neuropsychologie ist eine Disziplin, welche

 

  • Konzentrationsfähigkeit,
  • Gedächtnis,
  • Handlungsplanung und
  • Handlungsabläufe


trainiert.

 

Oft bleiben Schlaganfallpatienten in ihren Alltagsabläufen einfach stecken.

 

Der Patient zieht sich zB die Hose bis zu den Knien an und dann sitzt dann eine Weile nur da und weiß nicht, wie es weitergeht. Es gibt auch Fälle, da ziehen sich die Betroffenen verkehrt herum an oder schminken sich nur halbseitig.

 

Die Neuropsychologie ist dazu da, um genau solche Dinge zu trainieren.

Dieses Gebiet ist also essenziell, wird jedoch vielfach in der Betreuungsnotwendigkeit und dem Betreuungsaufwand der Patienten unterschätzt.

 

Es ist oft so, dass der Patient in seiner Bewegungsfähigkeit gar nicht so schlecht ist, kann auch gut sehen und könnte sogar spazieren gehen oder Sport betreiben, findet aber zB nicht mehr nach Hause.

 

 

Oder er vergisst beispielsweise, dass er eigentlich noch etwas essen sollte oder er kann sich selbst kein Essen zubereiten.

Diese Patienten benötigen gleich viel oder sogar mehr Betreuungsaufwand als Patienten, die im Rollstuhl sitzen, da man sie nicht alleine lassen kann.

 

Patienten im Rollstuhl lernen mit dem Rollstuhl umzugehen, sich alleinständig umzusetzen,  und sich über den Tag zu beschäftigen. Ein Patient mit neuropsychologischen Defekten kann dies unter Umständen nicht.

Diese Patienten müssen 24/7 betreut werden, denn sie sind in der Nacht in gleich schlechter Verfassung wie am Tag.

Das wird auch oft in der Pflegegeldberechnung übersehen.

 

Der Patient wirkt zunächst ganz anders auf die Außenwelt. Er ist körperlich fit und kann sagen "Heute ist Mittwoch, der 13. Mai 2020 und ich finde Sie sehr nett“ und macht auch alles was ihm aufgetragen wird.

Hier übersieht man oft diese versteckten, aber sehr schwerwiegenden Defizite.

 

CredoWeb: Werden in solchen Fällen Angehörige mitbetreut?

 

 

Dr. med. Ute Witzani:

Natürlich, die Betreuung der Angehörigen gehört zu jeder Reha dazu!

 

Bei diesen Angehörigengesprächen, wird erklärt, was genau das Problem ist, dass dies nichts Persönliches ist und dass derjenige nicht anders kann, nicht nur einfach nicht will.

Das fällt ebenfalls in den Bereich der Neuropsychologie.

 

 

CredoWeb: Kann die richtige Reha einen 2. Schlaganfall vorbeugen?

 

Dr. med. Ute Witzani:  Die Reha an sich kann keinen weiteren Schlaganfall vorbeugen! Die Reha ist das reine Training und das Lernen wieder mit dem Alltag umzugehen.

Wenn die Rehabilitation es schafft, dem Patienten ein neues Lebensgefühl und einen neuen Lifestyle zu vermitteln, dann ist dies durchaus möglich.

 

Wenn der Patient in der Reha lernt, nicht mehr zu rauchen und/oder sich regelmäßig nach einem gewissen körperlichen Sportschema zu bewegen und damit auch Risikofaktoren in den Griff bekommt, wie

 

  • Bluthochdruck,
  • zu hohe Blutfettwerte,
  • Diabetes etc. –

 

dann kann eine Rehabilitation einem Schlaganfall durchaus vorbeugen!

 

Dies ist jedoch, wie man sich vorstellen kann, nicht ganz einfach, denn eine Änderung des Lebensstils ist immer schwierig.

Wir haben aber schon erlebt, dass die Angst im Nacken einen weiteren Schlaganfall zu bekommen, doch einiges an Motivation bewirkt.

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

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