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Was uns die Neuroradiologie über SARS-CoV-2 & Langzeitschäden verrät

Was uns die Neuroradiologie über SARS-CoV-2 & Langzeitschäden verrät


Ein Experteninterview mit Universitätsprofessorin Dr. med. Majda Thurnher. Die Fachärztin ist an der Klinische Abteilung für Neuroradiologie und Muskuloskeletale Radiologie an der MedUni Wien tätig und arbeitet aktuell an einer COVID-19-Studie.

 

CredoWeb: Was versteht man unter einem neurotropen Virus und gehört COVID-19 auch in diese Kategorie?

 

Univ.-Prof. Dr. Majda Thurnher:

Ein neurotropes Virus ist ein Virus, das Nervenzellen infizieren kann.

 

Wir kennen mittlerweile viele neurotrope Viren und wissen daher welche Gehirnregionen bei einer Infektion betroffen sind. Ein typisches neurotropes Virus ist das Herpesvirus.

 

Es gibt bereits viele Hinweise sowie Beweise, dass SARS-CoV-2 ein neurotropes Virus ist.  Das Virus wurde im Liquor und im Gehirngewebe nachgewiesen.

 

 

Obwohl es verschiedene Hypothesen für den Eintritt des Virus in das zentrale Nervensystem (ZNS) gibt, sind die exakten Vorgänge bei der Neuroinvasion teilweise noch unklar.

 

 

CredoWeb: Gibt es neurologische Symptome, welche eindeutig mit COVID-19 auftreten?

 

 

Univ.-Prof. Dr. Majda Thurnher: Man muss bei neurologischen Symptomen unterscheiden, ob es sich um intensiv-pflichtige oder nicht intensiv-pflichtige Patienten mit COVID-19 handelt.

 

Folgende neurologische Symptome wurden bei COVID-19 PatientInnen, welche nicht intensivpflichtig waren, beschrieben:

 

 

  • Riech- und Geschmackstörungen,
  • Kopfschmerzen
  • Schwindel

 

 

Fokale neurologische Defizite waren vor allem bei Patienten die einen Schlaganfall erlitten haben berichtet.

 

 

Bei intensivpflichtigen COVID-19 PatientInnen, die einen schweren Krankheitsverlauf hatten, traten

 

  • Bewusstseinsstörungen,
  • Desorientiertheit,
  • epileptische Anfälle und
  • Delirium

 

auf.

 

Diese Symptome sind jedoch eher das Resultat einer überschießenden Immunantwort und nicht einer direkten Infektion mit SARS-CoV-2.


 

CredoWeb: Gibt es bereits Hinweise, dass neurologische Langzeitschäden nach einer COVID-19-Infektion entstehen können? Wenn ja, welche?

 

 

Univ.-Prof. Dr. Majda Thurnher: Über die Langzeitschäden wissen wir noch zu wenig. Wenn wir wissen, dass es PatientInnen gibt, bei denen die Geruchsstörungen nicht rückläufig sind, können wir annehmen, dass eine Atrophie des Riechkolbens eine Folgen der Infektion ist. Das müssen wir aber erst in größeren Studien beweisen.

 

Bis jetzt kennen wir nur einzelne Berichte die im MRT eine Atrophie des Bulbus olfactorius (Riechkolben) beobachtet haben.

 

 

CredoWeb: In den Medien wurde berichtet, dass vermehrt Schlaganfälle im Zuge einer Infektion mit SARS-CoV-2 Viren beobachtet wurden. Stimmt das?

 

Univ.-Prof. Dr. Majda Thurnher: Die erste Publikation, die eine mögliche Verbindung zwischen dem SARS-Cov-2 und Schlaganfällen zeigte, berichtete über 5 COVID-19 PatientInnen, die einen Schlaganfall erlitten haben. Die Studien, die folgten berichteten über eine sehr unterschiedliche Frequenz der Schlaganfälle (1-30%).

Die wahre Inzidenz der Schlaganfälle in COVID-19 PatientInnen ist noch nicht bekannt, die vorhandenen Daten müssen noch bearbeitet und auch richtig interpretieren werden.

 

Die Erklärungen für die erhöhte Inzidenz der Schlaganfälle bei COVID-19 sind einerseits die Aktivierung der Blutgerinnung und anderseits die systemische Gefäßentzündung (eine diffus im Körper aktive Vaskulitis). Die Entzündung erfasst alle Gefäßbetten (Herz-, Hirn-Lungen- und Nierengefäße sowie Gefäße im Darmtrakt.

 

Um das Risiko eines Schlaganfalls zu minimieren wird derzeit bei hospitalisierten COVID-19 PatientInnen eine frühe Antikoagulation (Blutgerinnungshemmer) angewendet. Diese Strategie zeigte bereits gute Erfolge mit deutlicher Senkung der Schlaganfallfrequenz bei COVID-19 Patienten (persönliche Kommunikation mit Prof. Javier Romero, Massachusetts General Hospital).

 

CredoWeb: Sie arbeiten derzeit an einer COVID-19-Studie am AKH Wien. Was soll mit dieser Studie beleuchtet werden und wann kann man mit den Ergebnissen rechnen?

 

 
Univ.-Prof. Dr. Majda Thurnher:


Wir starten im AKH Wien in Kooperation mit dem Sozialmedizinischem Zentrum Süd, Kaiser-Franz-Joseph Spital eine große prospektive Studie „Die Häufigkeit und die klinische Bedeutung der MRT Veränderungen des Gehirnes nach SARS-CoV-2 Infektion“ bei der die Prävalenz von SARS-CoV-2-assoziierten ZNS-Veränderungen im MRT beurteilen werden soll. 

 

Geplant sind 400 StudienteilnehmerInnen - mit den ersten/vorläufigen Ergebnissen kann man frühestens nach 3 Monaten rechnen.

Beurteilt werden alle Regionen des Gehirnes und der Riechbahn die in Verbindung mit SARS-CoV-2 Infektion beschrieben worden sind.

 

 

CredoWeb: Wie ist Ihre persönliche Prognose betreffend der Pandemie?

 

Univ.-Prof. Dr. Majda Thurnher: Wir lernen jeden Tag dazu, wir wissen immer besser, wie wir die COVID-19 Symptome und Veränderungen interpretieren müssen und welche Therapie erfolgsversprechend ist.

Alles was wir bis jetzt im MRT des Gehirnes bei COVID-19 gesehen haben, kennen wir schon. Es laufen jetzt kontrollierte, prospektive klinische und epidemiologische Studien die fundierte Daten/Resultate bringen werden.

 

Ich bin zuversichtlich, dass wir diesen Kampf gewinnen werden.

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

Vortrag "Ein neurotropes Virus? Können das die Neuroradiologen riechen?" bei der Live-Übertragung: „Randthemen“ bei COVID-19 vom 30.06.2020 veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Infektiologie und Tropenmedizin (ÖGIT) unter der Moderation von Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer.

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