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Vitamin- und Spurenelementmangel beim COVID-19-Patienten

Vitamin- und Spurenelementmangel beim COVID-19-Patienten

Als ehemaliger Leiter der Intensivstation am LKH-Univ. Klinikum Graz und nun als Lehrbeauftragter an der MedUni Graz zum Thema Ernährungstherapie von kritisch kranken Patienten, ist Dozent Dr. med. Karl-Heinz Smolle an den neuesten Erkenntnissen der Ernährung von COVID-19-Patienten im Intensivbereich sehr interessiert und informiert uns in diesem Interview über die Vitamin- und Spurenelementversorgung bei Patienten, die sich mit dem SARS-CoV-2 infiziert haben.

 

 


CredoWeb:
Konnte bei COVID-19-PatientInnen mit einem schweren Krankheitsverlauf ein Vitamin- bzw. Nährstoffmängel festgestellt werden?

 


Univ.-Doz. Dr. Karl-Heinz Smolle:


Ja, und zwar ganz eindeutig!


Wie hinlänglich bekannt, klagen Patienten ja meist über Fieber, Husten, Kopfschmerzen und Atemnot. Man hört und liest auch immer wieder über Geschmacks- und Geruchsstörungen.

Was aber viele nicht wissen oder was meist unerwähnt bleibt ist, dass Betroffene über Appetitlosigkeit (wodurch die Patienten weniger essen) und vielfach auch über Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle klagen, mit der Folge einer oft ausgeprägten Mangelernährung schon bei Aufnahme ins Krankenhaus.

Laut Studien leiden 58% der Patienten schon bei der Aufnahme ins Krankenhaus an Appetitlosigkeit. Bei mehr als 4.000 positiv getesteten COVID-19-Patienten konnten in über 17%, d.h. beinahe bei jeden 5. Patienten, diese gastrointestinalen Beschwerden festgestellt werden.

 

Diese Mangel- und Unterernährung schwächt nicht nur die Immunkompetenz, sondern macht die Patienten möglicherweise auch anfälliger für eine SARS-Infektion und einen schweren Verlauf.

 

Tatsächlich zeigen Studien bei jenen Patienten, die an COVID-19 versterben, extrem niedrige Vitamin D, Zink und Selenspiegel.

 

CredoWeb: Welche Auswirkungen hat jeweils ein Vitamin D, Zink- und Selenmangel auf unser Immunsystem?

 

 

Univ.-Doz. Dr. Karl-Heinz Smolle:

 

Sowohl Vitamine, speziell die Vitamine D & C, als auch Spurenelemente wie Zink & Selen sind für das optimale Funktionieren des Immunsystems unbedingt notwendig, sodass ein Mangel an diesen Substanzen, vor allem wenn ein schweres Defizit vorliegt, mit einer ausgeprägten Immunschwäche einhergeht.


CredoWeb: Spielt die Gabe von Vitamin C zB in Infusionsform eine Rolle in der Behandlung von COVID-19-PatientInnen bzw. sollte es eine Rolle spielen?

 


Univ.-Doz. Dr. Karl-Heinz Smolle: Die Aufnahme auf die Intensivstation weist ja schon auf einen schweren Verlauf hin. Hier gibt es Empfehlungen für eine erhöhte Vitamin-C-Zufuhr.

 

Eine Studie aus Wuhan sollte demnächst publiziert werden, wo Patienten 7-10 Tage lang mit 10g Vitamin C pro Infusion bei leichteren Fällen & mit 20g Vitamin C pro Infusion in schweren Fällen therapiert wurden. Sehr schwer Erkrankte bekamen sogar alle 4 Stunden 50g Vitamin C pro Infusion verabreicht.

Innerhalb dieser Studie wurden jedoch auch viele andere Parameter wie z.B die Dauer der künstlichen Beatmung, die Schwere der Erkrankung und der Aufenthalt auf der Intensivstation, miteinbezogen.

Man wird nach Veröffentlichung der Studie sehen, wovon die Patienten am meisten profitieren.

 

Bei Selen und Vitamin D ist es ähnlich. Bei Selen werden bis zu 1000µg/Tag (= Mikrogramm) und bei Vitamin D sogar 50.000 - 100.000 IE (= Einheiten) als Erstdosis empfohlen. Das sind natürlich sehr extreme Mengen.


 

CredoWeb: Lässt sich daraus schließen, dass wir alle auf einen ausgewogenen Vitamin D, Vitamin C, Zink- & Selenspiegel achten sollten?

 

 

Univ.-Doz. Dr. Karl-Heinz Smolle: Das ist wohl die schwierigste Frage, weil es dazu immer eine individuelle Antwort geben wird und es davon abhängt, ob die Person noch gesund oder schon krank ist, ob die Person bisher mobil war, ob sie häufig im Freien war oder ob die Person ein Heimbewohner ist, wie die Nahrungsaufnahme in letzter Zeit war usw. - hier spielen also viele individuelle Faktoren zusammen.

 

Es kann hier also keine allgemein gültige Empfehlung geben.

Spiegelbestimmungen durch eine Blutabnahme, die man beim behandelnden Arzt durchführen lassen kann, machen vor allem bei Risikopatienten durchaus Sinn.

 

Bezüglich einer Prophylaxe in dieser Pandemie-Zeit wird die tägliche Gabe von 100-200mg Vitamin C empfohlen. Bei älteren oder komorbiden (mit multiplen Erkrankungen) Patienten werden sogar deutlich höhere Dosen über den Tag verteilt empfohlen.

Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit spricht bei Vitamin D von einer tolerierbaren Gesamtzufuhr von 100µg/Tag, also 4.000 IE für Erwachsene.

Dagegen liegt der bescheidene normale Tagesbedarf laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin bei 5µg/Tag. Das ist der Normalbedarf, der von den Ernährungsgesellschaften vorgegeben wird.

Für Selen wird der normale Tagesbedarf mit 30-70µg angegeben.

 

Wie ich zuvor aufgezeigt habe, ist die Dosis im Intensivbereich wesentlich höher, aber die Gabe dieser Dosen liegt natürlich im Ermessen des behandelnden Arztes.



CredoWeb: Kann es hierbei zu Überdosierungen kommen, sollte man auf eigene Faust ohne Beratung eines Mediziners Vitamine und Spurenelement zu sich nehmen?

 


Univ.-Doz. Dr. Karl-Heinz Smolle: Wenn man selbst höhere Dosen einnehmen möchte, glaube ich, dass es Sinn macht, mit einem Arzt des Vertrauens oder mit dem Hausarzt darüber zu sprechen. Es gibt auch Erkrankungen wo eine erhöhte Zufuhr unter Umständen nicht empfehlenswert ist.

 

Ich weise hier auf das Vitamin D hin. Vitamin D ist neben anderen Hormonen wichtig für den Kalziumhaushalt. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion könnte eine erhöhte Vitamin-D-Zufuhr dazu führen, dass die Patienten einen deutlich erhöhten oder sogar bedrohlichen Kalziumspiegel erreichen.

 

Man sollte also in jedem Fall mit einem Arzt vorher sprechen, wenn man höhere Dosen zuführen möchte und nicht unkontrolliert Vitamine oder Spurenelemente zu sich nehmen.


 

CredoWeb: Was können wir noch aktiv tun, um unser Immunsystem zu stärken, um das Infektionsrisiko generell möglichst niedrig zu halten?

 

 

Univ.-Doz. Dr. Karl-Heinz Smolle: Auf die wesentlich notwendigen Verhaltensmaßnahmen wird ja ohnehin täglich hingewiesen.

 

 


Ergänzend, sollte man sich meiner Meinung nach, sehr viel im Freien aufhalten und sich idealerweise dabei, dem Alter bzw. seiner Fitness angepasst, bewegen.

 

Weiters würde ich vom Rauchen und von übermäßigem Alkoholkonsum abraten, da es auch hier Zusammenhänge dem Auftreten der Erkrankung gibt.

 

Und auf jeden Fall sollte man auf eine ausreichend gesunde Ernährung mit viel Obst und Gemüse achten. Damit wird ja schon ein Großteil an wichtigen Vitaminen und Spurenelementen zugeführt.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich den Genuss von Fisch, weil die im Fisch enthaltenen Omega-3-Fettsäuren ebenfalls eine entzündungshemmende Wirkung haben.

 


 

Eine Grippeimpfung ist meineserachtens auch sehr empfehlenswert. Durch COVID-19 ist die Influenza ja nicht einfach verschwunden. Diese Krankheit kann ebenfalls eher bei älteren Menschen einen schweren Verlauf zeigen.

Übrigens konnten Forscher aus Holland und Düsseldorf kürzlich zeigen, dass die im Vorjahr-(Influenza) geimpften Personen weniger an COVID-19 erkrankten als nicht geimpfte Menschen. Möglicherweise spielt hier eine gewisse Kreuzimmunität eine Rolle, wie es die Forscher vermuten.

 

Was nicht unerwähnt bleiben sollte ist, dass bei älteren Personen (über 65) auch eine Pneumokokken-Impfung von Vorteil ist, da es bei schweren Krankheitsverläufen mit Covid 19 zu zusätzlichen bakteriellen Infektionen kommen kann, wie Lungenentzündungen, welche häufig durch Pneumokokken verursacht werden.

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

 

Vortrag "Ernährung beim COVID-19 Patienten auf der ICU" beim Giftigen Livestream vom 28.10.2020 veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Infektiologie und Tropenmedizin (ÖGIT) unter der Moderation von Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer.

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