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Spritzenphobie, Angst vor Nebenwirkungen & was der Corona-Impfung sonst noch im Wege steht

Spritzenphobie, Angst vor Nebenwirkungen & was der Corona-Impfung sonst noch im Wege steht


Professor Leonhard Thun-Hohenstein ist nicht nur der Klinikgründer, sondern war 11 Jahre lang der Vorstand an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum Campus CDK (Christian Doppler Klinik) in Salzburg. Die von ihm 2009 gegründete Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie versorgt seither durchschnittlich 500 stationäre und 1500 ambulante Patient*innen pro Jahr. Am 31.01.2021 übergab er das Steuer an Frau Dozentin Belinda Plattner.

 

 

 

CredoWeb: Welche Ängste können im Zusammenhang mit dem Impfen bei Kindern und Jugendlichen auftreten?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Leonhard Thun-Hohenstein:

 

 

Prinzipiell muss uns einmal klar sein, dass ein Stechen mit spitzen Gegenständen, sprich die Verletzung des eigenen Körpers, bei jedem von uns Angst auslösen kann.

 

In Abhängigkeit von subjektiven Erfahrungen und dem genetischen Hintergrund kann dann ein Störungsbild entstehen. Dann spricht man entweder von einer Spritzenangst, einer Nadelangst oder die generelle Angst vor spitzen Gegenständen, welche es recht basal gibt, da der Sinn dahinter, der eigene Körperschutz ist.

 

 

Angst ist grundsätzlich dafür da, um uns zu schützen, sprich, um unsere Lebensfähigkeit aufrecht zu erhalten und daher sind diese Ängste auch teilweise nachvollziehbar.

 

 

Sie werden jedoch zum Problem, wenn sie sich verselbstständigen und sich zu einer sogenannten Phobie entwickeln, denn dann werden diese Angstzustände pathologisch:

 

  • Spritzenphobie
  • Nadelphobie
  • Impfphobie
  • Aichmophobie (= Angst vor spitzen Gegenständen)

 

Und Problem bedeutet, wenn man nur an eine spitze Nadel oder an eine Impfung denkt, es schon zu dieser Angstreaktion kommt. Im schlimmsten Fall kommt es dann bei der tatsächlichen Impfung, zu einer richtigen Panikattacke. Die Kids fangen an zu weinen, sich zu weigern, zu wehren, und versuchen zu flüchten. Bei so einem Verhalten spricht man von einer Spritzen- oder Impfphobie.

 


 

CredoWeb: Können diese Ängste auch im Erwachsenenalter auftreten?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Leonhard Thun-Hohenstein:

 

 

Selbstverständlich können diese Ängste auch im Erwachsenenalter auftreten. Sie können entweder aufgrund schlechter Erfahrungen  weiterbestehen oder sie können auch völlig neu auftreten.


 

CredoWeb: Welche Methoden gibt es, um Kindern zB die Angst vor Nadeln oder die Angst vor dem Stich, der mit Schmerz verbunden ist, zu nehmen?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Leonhard Thun-Hohenstein: Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten.

Das wichtigste ist, eine vertrauensvolle Umgebung zu schaffen und den Kindern ausreichend zu erklären, was passieren wird und warum - zumindest ab einem Alter von 3-4 Jahren.

 

 

Ansonsten kann man zB versuchen, eine sogenannte topische Anästhesie zu machen. Hierbei wird mittels einer Creme oder eines Sprays die Einstichstelle betäubt.

Wichtig ist auch, die Kinder in eine Position zu bringen, wo sie halbwegs ruhig und zufrieden sitzen können, am besten mit Hautkontakt mit den Eltern. Ab dem Schulalter ist es besser, wenn die Kids autonom aufrecht stehen oder sitzen.

 

Den Kleinkindern kann man zB eine süße Flüssigkeit geben, um sie währenddessen zu beschäftigen. Was auch hilft, ist Ablenkung in Form von Videospielen, mittlerweile sogar im Virtual-Reality-Format.

 

 

Essenziell ist es auch, die Eltern und Betreuer vorab ausreichend zu informieren. Solange dort auch Ängste sind, werden diese auf die Kinder projiziert. Die Kids spüren das natürlich und reagieren dementsprechend darauf.

 

 

CredoWeb: Gibt es auch Angstzustände in diesem Zusammenhang, die sich nicht so einfach überwinden lassen?

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Leonhard Thun-Hohenstein: Ja, wenn es eine phobische Reaktion ist, diese eine immer wiederkehrende Reaktion über Monate/Jahre darstellt, welche zur generellen Vermeidung dieser Situationen führt, wird es zu einer manifestierten Angststörung, sprich einer Phobie.

 


 

Betreffend der Therapie gibt es hier zwei wesentliche Dinge, die man tun kann:

 

 

  1. Psychoedukation:
    Unter Psychoedukation versteht man die Aufklärung über die Angstreaktion selbst, die Auslöser, die Vorgehensweise und auch darüber, wie man als Mensch mit Angst umgehen kann. Diese Methode funktioniert im Großen und Ganzen sehr gut. Wenn die Menschen nämlich verstehen, was für Reaktionen das genau sind, können sie besser damit umgehen.

    Die phobische Reaktion ist ja eine rasche Reaktion, sozusagen eine Notfallreaktion, bei der das Stirnhirn nicht eingeschalten wird. Man kann nun versuchen den Menschen darin so zu unterstützen, dass er zwischen dem angstauslösenden Moment und seiner Reaktion eine Denkschleife hineinkriegt, sodass er nicht unmittelbar reagiert, sondern dass er diese Angst wahrnimmt und dann aktiv analysiert, ob diese Angst real wirklich so schlimm ist, dass er davonlaufen muss oder ob er es schafft, sich inwendig zu beruhigen. Hierzu kann man den Menschen auch Achtsamkeits- und/oder Entspannungsübungen an die Hand geben.


    Hier ein spannender Artikel zu diesem Thema von Univ.-Prof. Dr. Nicolas Singewald: Meditation als mögliche Therapie bei Angststörungen



    Sollte das keinen Erfolg bringen, ist eine Psychotherapie angesagt.


  2. Psychotherapie:

    Die am besten untersuchteste Psychotherapie ist die kognitive Verhaltenstherapie mit der sogenannten Expositionstherapie. Hierbei werden diese Denkvorgänge mit dem Patienten vorbereitet und analysiert. Anschließend wird der Patient absichtlich in eine Angstsituation gebracht und somit sozusagen provoziert. Anhand des gemeinsamen Durchlebens dieser Provokationssituation mit dem Therapeuten kann man üben und lernen, diese Situation zu bewältigen.

 

CredoWeb: CredoWeb führte unlängst eine Umfrage mit 220 TeilnehmerInnen zu den aktuell verfügbaren COVID-19-Impfstoffen durch. Ein Großteil der Befragten gab an, dass Sie sich aufgrund von Angst vor heftigen Impfreaktionen und Folgeschäden nicht impfen lassen werden.

Hier geht es zu den Ergebnissen der Umfrage: Ergebnis Impfstoff-Umfrage


Wie könnte man diesen Personen die Angst nehmen?



 

Univ.-Prof. Dr. Leonhard Thun-Hohenstein:

 

 

Ich glaube, global kann man nur durch möglichst offene und klare Kommunikation über die aktuellen Impfstoffe gegensteuern. Man muss leider sagen, dass in der Kommunikation oder auch in der Gestaltung der COVID-19-Impfszene, vieles schief gegangen ist und noch dazu diese nicht unbedeutenden Impfreaktionen aufgetreten sind.

 

Wobei man sagen muss, und da sind sich alle Experten einig, diese Nebenwirkungen treten sehr selten auf, nämlich 5 Ereignisse auf 1 Mio Impfungen (lt. EMA = Europäische Arzneimittel-Agentur).

 

Diese Nebenwirkung, welche in aller Munde ist, ist die sogenannte Impfstoff-induzierte Thrombozytopenie, welche durch die Verimpfung von DNA-haltigen Impfstoffen eine Verringerung der Thrombozytenzahl (Blutplättchen) verursacht. Ausgelöst wird sie durch eine sehr ähnliche Autoimmunreaktion, der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) vom Typ II.

 

Diese Reaktion stellt mittlerweile kein wirkliches Risiko mehr dar, weil die Ärzte verstanden haben, worum es hierbei geht und der Zustand behandelbar ist.

 

 

Sollten in den ersten 3 Tagen nach der Impfung Kopfschmerzen auftreten, sollte man sogleich seinen behandelnden Arzt aufsuchen. Wenn die Patienten also wachsam sind, stellt dies kein Problem dar.

Dies muss klar gestellt und weiterkommuniziert werden, dann wird sich die Situation bessern. Es wäre deswegen äußerst wichtig, dass die Hausärzte ihre Patienten persönlich mit ausreichend Informationen versorgen und ein aufklärendes Gespräch suchen.

 

Wobei man sagen muss, dass wir in unserer Bevölkerung ungefähr eine Gruppe von 27 - 30% an Leuten haben, die das Impfen prinzipiell ablehnen.

 


Auszug unserer Impfstoff-Umfrage/© CredoWeb

 


Man nennt sie die sogenannten Impfzögerer und sie sind sehr schwer zu beeinflussen. Hier gibt es viele einflussreiche Faktoren und im Zentrum steht ein grundlegendes Defizit an Vertrauen in Gesellschaft, Politik und Medizinsystem.

 

Alle Publikationen, die ich hierzu gelesen habe, besagen, dass diese Menschen das Vertrauen in Staat und Medizin verloren haben und das lässt sich nicht so einfach umdrehen. Wenn dieses Misstrauen dann auch noch mit politischem Widerstand vermischt wird, ist das eine äußerst unheilvolle Mischung.

 

Wie schon gesagt, kann man hier eigentlich nur auf der individuellen Ebene der einzelnen Personen in den Praxen ansetzen. Hier können die Ärzte versuchen, gegenzusteuern.

 

 

 

Interview: Christina Neumayer/CredoWeb

Quelle: Vortrag Ängste vor Impfungen beim Giftigen Livestream auf infektiologie.co.at zum Thema COVID-19 und die Psyche vom 11.03.2021, veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Infektiologie & Tropenmedizin (ÖGIT) unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer

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