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„Viele Frauen fragen, ob es eine Studie für sie gibt“

„Viele Frauen fragen, ob es eine Studie für sie gibt“

Experteninterview zum Brustkrebs-Monat Oktober

 

In Österreich erkrankt jede achte Frau im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs, aber auch Männer sind betroffen. Christian Marth, Direktor der Uniklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Universität Innsbruck betont die Wichtigkeit wissenschaftlicher Studien, informiert über den Stand der personalisierten Therapie und er appelliert an Frauen, Früherkennungsangebote anzunehmen.

 

Während der Pandemie haben viele Menschen die Angebote zur Früherkennung nicht in Anspruch genommen. Trifft das auch auf das Brustkrebs-Screening zu?


Christian Marth: Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 verzeichneten wir in Tirol einen Rückgang von 60 Prozent bei den Brustkrebs-Neudiagnosen. Im zweiten Lockdown haben sich erneut 30 bis 40 Prozent weniger Frauen untersuchen lassen, obwohl dann die diagnostischen Einrichtungen offen waren. Wir gehen davon aus, dass in ganz Österreich bei rund 1000 Frauen Brustkrebs nicht oder deutlich verspätet diagnostiziert worden und inzwischen deutlich weiter fortgeschrittenen ist. Der Anteil der Patientinnen, die bereits Symptome haben, wenn sie zu uns kommen, hat sich verdoppelt. Für die Früherkennung ist es wichtig, dass man die Untersuchungsintervalle einhält, um die bestmögliche Prognose zu haben. Es spielt zwar sicher keine große Rolle, die Mammografie um zwei Monate zu verschieben. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Patientinnen die Untersuchung eher ein ganzes Jahr ausfallen lassen. Mein Appell lautet daher: Auch in Zeiten einer Pandemie, darf man andere Krankheiten nicht vergessen! Das COVID-19-Ansteckungsrisiko in Gesundheitseinrichtungen ist aufgrund strenger Hygieneauflagen äußerst gering.

 

Wie maßgeschneidert ist die personalisierte Brustkrebs-Therapie inzwischen?


Marth: Bei Brustkrebs verfolgen wir das Konzept der personalisierten Therapie seit den 1970er Jahren. Seit damals gibt es die Hormontherapie, die aber nur bei Patientinnen wirkt, bei denen die entsprechenden Hormonrezeptoren im Tumor vorhanden sind. Wir machen also genaue Analysen, um herauszufinden, welche Medikamente bei welchen Patientinnen wirksam sind. Im Wesentlichen gibt es Mammakarzinome, die auf Hormone ansprechen, solche, die den Wachstumsfaktor HER2 exprimieren und die so genannten Triple-negativ-Tumoren mit mehreren Untergruppen, auf die weder das eine, noch das andere zutrifft. Inzwischen bestimmen wir eine ganze Liste an Biomarkern. Das Ziel ist, für jedes Medikament einen Marker zu bekommen, um zu wissen, ob die jeweilige Patientin von der Therapie profitieren wird. Bei HER2 exprimierendem Brustkrebs haben wir z.B. inzwischen Antikörper, die an den HER2-Rezeptor andocken können und die wir mit einem Zellgift verknüpfen. Der Antikörper schleust das Gift in die Krebszelle ein und lässt es dort gezielt frei. Die Krebszelle und ihre Nachbarzelle werden abgetötet. Solche sogenannten Antibody Drug Conjugates sind hocheffektiv und haben eine neue Ära in der Krebstherapie eingeläutet.

 

Welche Erfolge zeigt die Immuntherapie?


Marth: Die Immuntherapie ist außerordentlich effektiv und – im Gegensatz zur Chemotherapie, gegen die der Tumor mit der Zeit resistent wird – lange wirksam bei Patientinnen, die darauf ansprechen. Die Schwierigkeit ist: Wir wissen noch nicht genau, für welche Patientinnen die Immuntherapie geeignet ist. Momentan liegt die Ansprechrate bei 15 bis 20 Prozent. Dieser Anteil ist noch gering. Es wird derzeit extrem daran geforscht, entsprechende Biomarker zu entdecken, die besser vorhersagen, wer auf die Immuntherapie anspricht.

 

Welche Studien zu Brustkrebs laufen am Brustkrebszentrum Innsbruck*?


Marth: Aktuell gibt es rund 15 Studien, die sich mit verschiedenen Krankheitssituationen befassen. Diese werden zumeist im Rahmen von internationalen Netzwerken durchgeführt. Wir untersuchen u.a., ob es uns gelingt, Tumoren bereits vor einer Operation verschwinden zu lassen, indem wir Chemo- und Immuntherapie kombinieren. In einer weiteren Forschungsarbeit versuchen wir, Rückfälle besser zu behandeln, indem wir die Hormontherapie mit einem zusätzlichen Medikament verbinden. Es gibt auch eine Studie, in der es darum geht, die Radikalität der Brustoperation zurückzunehmen. In der kürzlich publizierten klinischen SALSA-Studie, an der 75 österreichische Zentren teilnahmen, erhielten Patientinnen mit frühem Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs nach fünf Jahren eine zusätzliche zwei- bzw. fünfjährige erweiterte Anastrozol-Therapie mit dem Ziel, deren Wirksamkeit zu überprüfen. Mit der umfangreichen und v.a. auch lange nachbeobachteten Patientinnengruppe konnte gezeigt werden, dass postmenopausale Patientinnen mit hormonrezeptor-positivem Brustkrebs mit durchschnittlichem Risiko, nicht von einer verlängerten adjuvanten Anti-Hormontherapie nur mit Anastrozol über eine Gesamtbehandlungsdauer von sieben Jahren hinaus profitieren. Die SOLE-Studie hat wiederum ergeben, dass kurzzeitige Unterbrechungen der Hormontherapie nach fünf Jahren, z.B. während eines Urlaubs, keine nachteiligen Auswirkungen haben.

 

Welche Vor- und Nachteile ergeben sich für Brustkrebs-Patientinnen durch die Teilnahme an Studien?

 

Marth: Mittels Studien werden oft neue Therapiestandards definiert. Sie sind für die Patientinnen daher außerordentlich wichtig. Viele Frauen fragen mittlerweile von sich aus, ob es für sie eine Studie gibt. Die Patientinnen begreifen, dass eine Studie eine Chance ist, heute schon die Therapie von morgen zu erhalten. Wir versuchen, einem Großteil der Patientinnen eine Teilnahme anzubieten. Das bedeutet für sie zwar einen höheren Aufwand, weil sie sich noch mehr Untersuchungen unterziehen müssen. Dafür haben sie die Chance auf die bestmögliche, lebensverlängernde Therapie über den Standard hinaus.

 

Was trägt die Medizin zur Erhaltung einer guten Lebensqualität bei?


Marth: Die Diagnose Brustkrebs reißt den Frauen den Boden unter den Füßen weg. Hier ist es wichtig, dass wir ihnen von Anfang an Begleitung anbieten – durch speziell ausgebildete Pflegepersonen, die Breast Cancer Nurses, und durch psychoonkologische Betreuung. Es ist entscheidend, dass die Patientinnen Zeit bekommen, in der sie über alle ihre Fragen und Ängste reden können. Fortschritte gibt es auch bei der Verminderung von Nebenwirkungen. Das CCCI* ist das einzige Zentrum in Westösterreich, in dem ein von uns mitentwickeltes Kühlsystem angeboten wird. Durch Kühlung der Kopfhaut können wir Haarausfall reduzieren oder ganz verhindern. Die Kühlung ist auch ein wichtiger Schritt, um Nervenschädigungen an Händen und Füßen, die zu Sensibilitäts- und motorischen Verlusten führen können, zu verhindern. Bei zwei Drittel der Patientinnen tritt eine massive Verbesserung dieser Nebenwirkungen ein, das ist beeindruckend. 

 

2018 sind in Österreich auch 63 Männer an Brustkrebs erkrankt. Inwieweit überschneidet sich die Therapie von Männern und Frauen?


Marth: Selten, aber doch werden auch Männer in der Gynäkologie behandelt. Das Verhältnis von Frauen und Männern mit Brustkrebs beträgt etwa 100 zu eins. Jedoch haben Männer mit Gynäkomastie (Brustwachstum infolge der Einnahme bestimmter Medikamente, Anm.) ein etwas höheres Brustkrebsrisiko. Wenn Männer an Brustkrebs erkranken, muss man immer an eine erbliche Veranlagung denken und eine genetische Beratung anbieten. Die Therapie verläuft sehr ähnlich wie bei Frauen und auch die Überlebenschancen gleichen sich. Dadurch, dass Männer weniger Fettgewebe in der Brust haben, können Knoten zwar leichter ertastet werden. Im Gegensatz zu Frauen, denken sie aber weniger daran, dass es sich um Brustkrebs handeln könnte. Sie gehen dann auch erst zum Arzt, wenn sie bereits Symptome haben. Diese sind im Wesentlichen dieselben, wie sie auch bei Frauen auftreten: Verhärtungen, Einziehung der Haut, Hautveränderungen, Schmerzen.

 

*Brustkrebszentrum Innsbruck ist Teil des CCCI:

Das zertifizierte Brustkrebszentrum Innsbruck, an das auch das BKH Schwaz und das BKH Lienz angeschlossen sind, ist Teil des Comprehensive Cancer Center Innsbruck (CCCI). Das ist die Einrichtung, in der KrebspatientInnen der Innsbrucker Universitätskliniken ihre Chemotherapie verabreicht bekommen können. Das CCCI ist aber auch als interdisziplinärer Zusammenschluss aller klinisch tätigen OnkologInnen und GrundlagenforscherInnen zu verstehen, die das Ziel verfolgen universitäre Spitzenmedizin in allen Bereichen der Krebsmedizin anzubieten: von der Forschung und Teilnahme an (frühen) Studien, über Diagnostik, Therapie und Schmerzbehandlung bis zur Nachsorge.

 

Steckbrief:

Der gebürtige Südtiroler Christian Marth hat sich bereits während seines Studiums der Humanmedizin in Innsbruck an wissenschaftlicher Forschung beteiligt. Er forschte zwei Jahre lang in einem spezialisierten Krebszentrum in Oslo (Norwegen) bevor er 1998 als Direktor der Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe nach Innsbruck berufen wurde. Schwerpunkte seines Forschungsinteresses sind Brust-, Eierstock- und Gebärmutterkörperkrebs. Unlängst wurde er vom renommierten Forschungsportal Pubmed zu einem der weltweit Top 0,1 Prozent der Eierstockkrebs-Forscher auserkoren.

 

Medienkontakt:

Medizinische Universität Innsbruck

Public Relations & Medien

Theresa Mair

Innrain 52, 6020 Innsbruck, Austria

Telefon: +43 512 9003 71833, public-relations@i-med.ac.at, www.i-med.ac.at

 
 
Details zur Medizinischen Universität Innsbruck

Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.100 MitarbeiterInnen und ca. 3.400 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.

Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.

 

Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.

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