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Universität für Weiterbildung Krems: Dank Modellen zu besseren Entscheidungen im Gesundheitswesen

Universität für Weiterbildung Krems: Dank Modellen zu besseren Entscheidungen im Gesundheitswesen

Doris Behrens, Universitätsprofessorin für Management im Gesundheitswesen, über die Rolle mathematischer Modellierung bei der medizinischen Versorgung

Bei ihrer Antrittsvorlesung am 16. Mai 2022 widmete sich Doris Behrens der Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen aus einer mathematischen Perspektive. Mit 1. Jänner 2021 wurde sie als Universitätsprofessorin nach § 98 UG 2002 an die Universität für Weiterbildung Krems berufen, wo sie das Department für Wirtschaft und Gesundheit leitet.

 

Mag. Friedrich Faulhammer, Rektor der Universität für Weiterbildung Krems, verwies in seiner Begrüßung auf die Bedeutung des Anlasses, seien doch die Antrittsvorlesungen neuer Universitätsprofessor_innen ein vitales Zeichen für die Entwicklung einer Universität. In seiner Vorstellung von Univ.-Prof.in Dipl.-Ing.in Dr.in Doris Behrens zeichnete Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, MSc, Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin, wichtige Karriereschritte nach.

 

Mit Modellen die Realität erfassbar machen

 

In ihrer thematischen Hinführung ging Mathematikerin Doris Behrens auf die Bedeutungen des Begriffs Modell ein. Im Kontext der Antrittsvorlesung verwendete sie Modell im Sinne einer komplexitätsreduzierten Abbildung der Realität für einen bestimmten Zweck. Den Nutzen mathematischer Modellierung im Gesundheitswesen illustrierte Behrens anhand von drei Effekten: Abläufe können durch Einsatz mathematischer Methoden beschleunigt werden, komplexe Systeme können besser gehandhabt werden und dank mathematischer Unterstützung kann in der Gesundheitsplanung besser mit Schwankungen umgegangen werden.

 

Wie Operations Research bei Dienstplanerstellung oder Terminvergabe hilft

In ihrem ersten Anwendungsfall veranschaulichte Doris Behrens, wie mathematische Optimierung oftmals zeitraubende Aufgaben in der Planung beschleunigen kann. Veranschaulicht wurde das anhand einer Alltagssituation im Krankenhausmanagement, im Zuge derer, Personal aus verschiedenen Arbeitsschichten bestmöglich gemäß einem vorher ermittelten Bedarf einzusetzen war. Solcherlei Pläne werden, selbst heute noch, oftmals händisch erstellt, sind langwierige Arbeiten, die durch Änderungen zudem fehleranfällig sind. Mit entsprechenden Programmen lassen sich diese Pläne mittlerweile mit wenigen Eingaben automatisiert erstellen. Hierbei handelt es sich um ein Anwendungsfeld der Operations Research.

 

Erfolgreicher Umgang mit Komplexität

 

Das nächste Szenario ist deutlich fordernder: In komplexen Systemen ist die Entscheidungsfindung aufgrund von Rückkopplungseffekten und unerwarteten Nebenwirkungen schwierig. Der übliche Prozess aus Bestimmung der Ausgangssituation und der Ziele, Erkennen der Diskrepanz zum Soll-Zustand, Fällen einer Entscheidung und entsprechendem Handeln endet in komplexen Systemen nicht mit dem Erlangen angestrebter Resultate. Die Ergebnisse der Entscheidung ändern nicht nur die ursprüngliche Ausgangssituation, es können auch neue Situationen geschaffen werden, die ihrerseits wieder Weichenstellungen erfordern. So können intuitiv sinnvolle Maßnahmen unerwartete, negative Konsequenzen haben.

 

Patient_innenversorgung in der Notaufnahme

 

Als Beispiel wählte Behrens hier eine klassische Fragestellung in der Notaufnahme: Bei Patient_innen muss rasch entschieden werden, ob sie entlassen werden können oder aufgenommen werden müssen. Um diese Entscheidung treffen zu können, sind in der Regel diagnostische Tests erforderlich. Mehr Tests führen schneller zu einer eindeutigen Entscheidung, was allerdings die Anzahl an Tests erhöht. Dies wiederum erhöht den Aufwand bei der Auswertung der Tests, was wiederum zu längeren Wartezeiten bei den Ergebnissen führt. So führt die eigentlich beschleunigende Maßnahme „mehr Tests“ zu insgesamt längeren Verweildauern der Patient_innen in der Notaufnahme. Wie lässt sich nun dieser Zeitraum tatsächlich verkürzen? In der Regel hat das medizinische Personal bei der Erstaufnahme nicht die längste Erfahrung bei der Untersuchung der Patient_innen, in Zweifelfällen werden erfahrenere Mediziner_innen konsultiert, was zu längeren Verweildauern führt. Indem das erfahrenste Personal die Erstuntersuchungen durchführt, lassen sich die Verweildauern der Patient_innen, gemeinsam mit dem Testvolumen, tatsächlich senken. Solch eine unübliche Maßnahme wäre ohne die Evidenz aus dem Modell noch nicht einmal als Versuchsprojekt in Erwägung gezogen worden. Durch die Modellierung komplexer Systeme werden unerwünschte Begleiterscheinungen von Entscheidungen vorab sichtbar. Der abstrakte Blick auf die Prozesse ermöglicht es auch, Abläufe neu zu denken.

 

Eine ähnliche Problemstellung ergab sich in der COVID-19-Zeit: Mit welcher Teststrategie lässt sich die geplante Entlassung von Spitalspatient_innen beschleunigen, um die frei gewordenen Betten rasch wieder mit COVID-19-freien Patient_innen belegen zu können? Hier zeigte sich, dass eine Priorisierung der aus dem Spital zu Entlassenden über Notfallspatient_innen zielführend war. Auch dieser Paradigmenwechsel im Testen wäre ohne modellbasierte Evidenz undenkbar.

 

Umgang mit Schwankungen

 

Das dritte Beispiel für die Anwendung mathematischer Modellierung macht die Bedeutung von Schwankungen deutlich. Im konkreten Fall wurden die Abläufe einer Zahnarztpraxis untersucht: Für den Empfang wurden im Schnitt pro Patient_in zehn Minuten veranschlagt, bei der Voruntersuchung, etwa für ein Röntgen, wieder zehn Minuten und für die eigentliche ärztliche  Untersuchung ebenfalls zehn Minuten. Somit sollte jeder Besuch in dieser Praxis nur 30 Minuten dauern. Wurden die Durchschnittswerte allerdings durch realitätsnähere Zeiträume ersetzt, in diesem Fall unter der Annahme, dass 95 Prozent der Fälle für jeden der drei Schritte zwischen 5 und 15 Minuten benötigen (im Durchschnitt jedoch immer noch genau 10 Minuten), ergab sich ein komplett anderes Bild. Indem ein Programm hunderte Patient_innen durchspielte, stieg zum Beispiel die Besuchszeit auf bis zu vier Stunden, zudem wurde so auch erkennbar, wie groß die Warteräume tatsächlich sein mussten. Durch Rückstaueffekte aufgrund der zeitlichen Schwankungen bei den einzelnen Schritten werden kontraintuitiv große Wartebereiche benötigt, vorhandene Kapazitäten werden bei Planung mit Durchschnittswerten ausnahmslos überschätzt.

 

Dieses Ergebnis zeigte sich auch bei einer untersuchten COVID-19-Impfstation. Bei einer Anmeldung, die von sechs Personen durchgeführt wird, und zwölf Mitarbeiter_innen, die die klinische Untersuchung vornehmen, wird ein Beobachtungsraum für etwaige Reaktionen auf die Impfung benötigt, der Platz für 64 Personen bietet.

 

Über die Person

Doris Behrens promovierte 1998 an der Technischen Universität Wien in den Technischen Wissenschaften mit Schwerpunkt Operations Research und Biomathematik, im Jahre 2008 habilitierte sie im Bereich Operations Research. Ihre wissenschaftliche Karriere führte sie an verschiedene Universitäten, darunter die Alpen-Adria Universität Klagenfurt, die Cardiff Universität und die Technische Universität Wien. Zudem arbeitete sie als Gastprofessorin unter anderem an der Universität Ljubljana, der Medizinischen Universität Wien und der Karl-Franzens-Universität Graz. Von 2017 an war sie am Aneurin Bevan University Health Board tätig, übernahm im Jahre 2020 die Stelle als leitende Mathematikerin am hausinternen Continuous Improvement Centre und ist als leitende Epidemiologin für den Gwent Test Trace Protect Service tätig.

 

Mehr Informationen: www.donau-uni.ac.at/dwg

 

Rückfragehinweis

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Doris Behrens
Leiterin des Departments für Wirtschaft und Gesundheit

Universität für Weiterbildung Krems

Te.: +43 2732 893-2603

E-Mail: doris.behrens@donau-uni.ac.at  

www.donau-uni.ac.at/presse

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