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Organische Kationentransporter: Erforschung der Struktur ermöglicht gezielte Entwicklung neuer Medikamente

Organische Kationentransporter: Erforschung der Struktur ermöglicht  gezielte Entwicklung neuer Medikamente

Monoamine sind Botenstoffe des zentralen und peripheren Nervensystems und dienen auch der Signalübertragung zwischen Zellen und Gehirn. Nach dieser Übertragung werden sie durch Transporter wieder in die Zellen aufgenommen. Während die spezifischen Monoamintransporter bereits gut untersucht sind, weiß man noch nicht genügend über die organischen Kationentransporter, die Monoamine mit hoher Kapazität transportieren können. Ein Forschungsteam um Julian Maier unter Leitung von Harald Sitte vom Institut für Pharmakologie der MedUni Wien konnte nun die Struktur eines bisher wenig erforschten Kationentransportersbdarstellen und untersuchte außerdem Mutationen, die bei neuropsychiatrischen Patient:innen auftraten. Die Studie wurde im renommierten Journal Nature Communications publiziert.


Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, die für die Informationsübertragung zwischen
Nervenzellen im Gehirn und dem gesamten Körper zuständig sind. Sie beeinflussen unseren
mentalen Zustand, Schlaf, Schmerzverarbeitung, aber auch Muskeln, Blutgefäße und die
Hormonbildung. Transportiert werden die Botenstoffe mittels besonderer Proteine, die
in der Zellmembran sitzen. Nachdem ein reizbedingt aus einer Zelle ausgeschütteter
Botenstoff an einem Rezeptor gewirkt hat, wird er durch Transporter wieder in die Zelle
aufgenommen. Dieses effiziente „Recycling“ erspart es dem Körper, aufwendig Botenstoffe
ständig neu zu synthetisieren.


Botenstoffe im Gleichgewicht


Bei den Monoaminen erledigen hauptsächlich zwei Arten von Transportern diese Funktion.
Die Gruppe der spezifischen Monoamintransporter bringt jeweils spezifische
Neurotransmitter, wie zB. Serotonin oder Dopamin, nach ihrer Wirkung an den Rezeptoren
zurück in die Zelle. Allerdings verfügen sie über niedrige Transportkapazität. Komplementär
dazu gibt es die Gruppe der organischen Kationentransporter (OCT). Diese transportieren
positiv geladene, also kationische Botenstoffe und verfügen über eine hohe Transportkapazität. Beide Gruppen arbeiten zusammen und sind wichtig für das
Gleichgewicht der Botenstoffe im Körper. In der Forschung wurde bisher vor allem die erste
Gruppe der spezifischen Monoamintransporter untersucht, etwa im Bereich der medizinischen Anwendung von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern zur Behandlung der Depression. Doch auch die OCT haben großen Einfluss auf das Monoamingleichgewicht.
Zudem beeinflussen sie die Pharmakokinetik und interagieren mit medizinisch verabreichten
Substanzen. Sie spielen eine große Rolle in der körperlichen Aufnahme und Ausscheidung
von Medikamenten.

 

Auf der Spur von Transporter-Varianten


Das Forschungsteam um den Mediziner Julian Maier unter der Leitung von Harald Sitte vom
Institut für Pharmakologie der MedUni Wien untersuchte in einer Studie speziell den
organischen Kationentransporter 3 (OCT3). In Kooperation mit einer dänischen
Forschungsgruppe von der Universität Kopenhagen und dem iPSYCH Konsortium konnten
genetische Daten von rund 12.000 Patient*innen mit neuropsychiatrischen Erkrankungen
ausgewertet und mit einer Kontrollgruppe verglichen werden. Untersucht wurde, welche
Varianten von Transportern auffindbar und wie diese verteilt waren. Weiters analysierte Maier
diese Varianten in vitro in Zellsystemen und verglich sie mit dem sogenannten „Wildtyp“, der
am häufigsten vorkommenden, normalen Form. Es zeigte sich, dass einige der Transporter
offensichtlich gar keine Botenstoffe transportieren können und demgegenüber andere sogar
mehr als der „Wildtyp“.


Basis für gezielte Forschung


In Zusammenarbeit mit der Strukturbiologie-Gruppe um Volodymyr Korkhov von der ETH
Zürich ermöglichte die Kryo-Elektronenmikroskopie, ein hochauflösendes, bildgebendes
Verfahren, erstmalige Einblicke in die Struktur des OCT3-Transporters und die spezifische
Charakterisierung seiner Bindungsstelle. Es konnte nun, unter Beteiligung der Gruppe von
Thomas Stockner, MedUni Wien, und ihren Molekulardynamik-Simulationen dargestellt
werden, wie OCT3 funktioniert und welche Substanzen aus welchem Grund spezifisch mit
dem Transporter interagieren. „Damit lassen sich in Folge auch die vorgefundenen
Mutationen besser analysieren und etwa erklären, warum deren Transportfähigkeit stark
herabgesetzt oder erhöht ist“, so Julian Maier. Daraus ergeben sich mannigfaltige
medizinische Applikationen, wie etwa die Entwicklung von Molekülen, die im ZNS-Bereich die
Wiederaufnahme der Botenstoffe durch OCT3 hemmen, und auch im kardiovaskulären
Bereich gibt es Bedarf spezifischer Substanzen. Studienleiter Harald Sitte: „Unsere Resultate
ermöglichen gezielte Forschung an Substanzen, die selektiv mit dem Transporter
interagieren“. Folgestudien des Forschungsteams sind geplant.


Publikation: Nature Communications
Strucutural basis of Organic Cation Transporter-3 inhibition.
Khanppnavar B., Maier J., Herborg F, Gradisch R, Lazzarin E, Luethi D, Yang J, Qi C, Holy M,
Jäntsch K, Kudlacek O, Schicker K, Werge T, Gether U, Stockner T, Korkhov V, Sitte H (2022).
https://doi.org/10.1038/s41467-022-34284-8

 

 

Rückfragen bitte an:
Mag. Johannes Angerer
Leiter Kommunikation und
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Tel.: 01/ 40 160-11501
E-Mail: pr@meduniwien.ac.at
Spitalgasse 23, 1090 Wien
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