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NAHRUNG FÜR DIE PSYCHE: KULINARISCHE MEDIZIN

NAHRUNG FÜR DIE PSYCHE: KULINARISCHE MEDIZIN

Ernährungsmedizin als Grundlage für psychische Gesundheit | Kulinarische Medizin für psychisches Wohlbefinden und ein gutes Bauchgefühl

Ernährung und Psyche stehen in engem Zusammenhang. Unser Ernährungsstil verändert nicht nur die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm, sondern steuert auch Entzündungsprozesse und wirkt sich auf den Verlauf psychischer Erkrankungen aus. Ein freies Wahlfach an der Med Uni Graz soll Bewusstsein zum Thema Ernährung und psychische Gesundheit schaffen und anhand von Praxisbeispielen ein konkretes Handwerkszeug für Patient*innen und Medizinstudent*innen liefern. Die Wichtigkeit von Ernährungsthemen im Medizinstudium konnte durch eigene Studien und internationale Fachgremien kürzlich bestätigt werden. Denn was und wie wir essen, wirkt sich maßgeblich auf unsere Bakterien im Darm aus und damit auch auf das, was wir denken, wahrnehmen und fühlen – so der Leitsatz.

 

Nutritional Psychiatry: Zusammenhang zwischen Ernährung und Psyche

Unser Magen-Darm-Trakt ist mit einem eigenen Nervensystem ausgestattet, das beispielsweise die zugeführten Lebensmittel auf ihre Nährstoffzusammensetzung analysiert, Ausscheidungsprozesse koordiniert und unsere Immunantwort beeinflusst. Bauch und Kopf verständigen sich kontinuierlich wechselseitig entlang der Darm-Gehirn-Achse über Nervenbahnen, Hormone oder auch Stoffwechselprodukte der Darmbakterien. Dieses Kommunikationssystem hängt eng mit immunologischen, neurologischen und endokrinen Prozessen zusammen: Hier werden nicht nur Hungergefühl und Appetit gesteuert, sondern auch Stimmungslage und Emotionen beeinflusst. „So liegt es nahe, dass auch unsere Ernährung eine wichtige Rolle in diesem komplexen Zusammenspiel einnimmt. Mittlerweile gibt es eine überzeugende wissenschaftliche Evidenz, dass Ernährungsinterventionen den Krankheitsverlauf und das Therapieansprechen von Menschen mit psychischen Erkrankungen beeinflussen“, erklärt Sabrina Mörkl, Fachärztin an der Klinischen Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie, Med Uni Graz. „Bislang werden Ernährungsinterventionen aber unzureichend im klinisch-psychiatrischen Alltag eingesetzt, vor allem da diese Inhalte bislang in der Ausbildung kaum vermittelt wurden“, führt Sonja Lackner vom Lehrstuhl für Immunologie, Otto Loewi Forschungszentrum für Gefäßbiologie, Immunologie und Entzündung der Med Uni Graz, hinzu.

 

Ernährungstherapeutische Maßnahmen im Fokus

Seit 2018 beschäftigen sich die Wissenschafterinnen gemeinsam mit weiteren nationalen und internationalen Lehrenden und Studierenden an der Med Uni Graz im Wahlfach „Nutritional Psychiatry“ mit dem Zusammenhang zwischen Ernährung und psychischem Wohlbefinden. „Die Ernährungspsychiatrie ist ein spannendes und vielseitiges Feld, auch Aspekte der Mikrobiomforschung des Darms sowie Wechselwirkungen zwischen Psyche, Nervensystem und Immunsystem fließen in das Wahlfach mit ein“, so Sabrina Mörkl. So führte das Team rund um die Forscherinnen in den letzten Monaten ein Projekt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin durch, um die therapiebegleitende Relevanz ernährungstherapeutischer Maßnahmen an die Patient*innen zu kommunizieren und durch praktische Einheiten auch die Ernährungskompetenz zu fördern. Zudem wurde im Rahmen des Wahlfachs eine Einheit zur „Culinary Medicine“ durchgeführt, in der Studierende Gerichte entsprechend den Kriterien der Ernährungspsychiatrie zubereiteten.

 

Kulinarische Medizin in den Alltag integrieren

Die Schwerpunkte der Kochworkshops lagen auf der alltäglichen und saisonalen Einbeziehung der mediterranen Ernährung. Dabei wurden einige Lebensmittel besprochen, die die Therapie unterstützen können: beispielsweise Lebensmittel mit hohem Gehalt an Ballaststoffen, fermentierten Produkten, gewissen Eiweißen (wie Tyrosin und L-Tryptophan als Grundlage zur Bildung der Nervenbotenstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) und Omega-3-Fettsäuren. Auch Gewürze mit nachgewiesenen antidepressiven Effekten wie etwa Safran oder Kurkuma wurden eingesetzt. „Unserem Team war es vor allem auch wichtig, Ideen und Möglichkeiten aufzuzeigen, um jene Lebensmittel nachhaltig in den Alltag zu integrieren“, beschreibt Sonja Lackner. Das ausgewogene Menü beinhaltete Rezepte des diätetischen Kochs und Ernährungstherapeuten Attila Varnagy, die sowohl unter Beachtung von Aspekten der mediterranen Ernährung, als auch unter kulinarischen und genusstherapeutischen Gesichtspunkten zusammengestellt wurden, um alle fünf Sinne zu aktivieren: prickelnde Weintrauben, gegrillte Kürbissülze auf Kimchi, Pastinakensuppe mit gerösteten Walnüssen sowie Tofu-Gemüse-Curry mit Rosinenreis und Vollkornnudeln mit Tomaten und Feta.

 

Gutes Bauchgefühl und psychisches Wohlbefinden: Lebensmittel und ihre Wirkstoffe

Während die prickelnden Weintrauben versetzt mit CO2 als „Aperitif“ vor allem Spaß machen und die Sinne aktivieren sollten, wurde bei den Hauptgerichten auf eine bunte, ballaststoffreiche Gemüsevielfalt für das Darmmikrobiom gesetzt. Fermentiertes Gemüse wie Kimchi und auch das regionale Sauerkraut wurden als probiotische Nahrungsmittel zur Steigerung der Vielfalt der Darmbakterien eingesetzt.

 

Nüsse wie Walnüsse und Cashews lieferten wertvolle Fette und Aminosäuren – der Verzehr von ca. 30 Gramm Nüssen pro Tag gilt beispielsweise als protektiv für Depressionen.

 

Der zusätzliche Einsatz von antioxidativen und antientzündlichen Gewürzen wie Kurkuma oder Safran wirkt sich nicht nur auf den Geschmack und die Optik von Gerichten, sondern auch nachweislich auf das Darmmikrobiom, das Immunsystem und die Stimmung aus. „Entscheidender Aspekt bei der Umsetzung der Culinary Medicine ist auch das ‚Begreifen von Lebensmitteln‘ in der direkten Planung und Zubereitung von Speisen. Die Ernährungskompetenz trägt nachweislich zu mehr Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Resilienz bei“, so das Fazit von Jolana Wagner-Skacel von der Klinischen Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie, Med Uni Graz, die neben Sabrina Mörkl maßgeblich an der Gründung des Wahlfaches beteiligt war und nach wie vor in der Umsetzung involviert ist.

 

Über das Wahlfach

Trotz der engen Verbindung zwischen Ernährung und Psyche fehlt es häufig an praktischen Ernährungskompetenzen sowohl auf Patient*innen- als auch auf ärztlicher Seite. Die Studierenden der Med Uni Graz sollen im Wahlfach „Nutritional Psychiatry“ ein Bewusstsein für das Potenzial kulinarischer Medizin bekommen. Im Zentrum stehen eine theoretische Wissensvermittlung rund um die Themen Ernährung, Darm-Gehirn-Achse und Psyche, aber auch praktische Trainings, sodass das Wissen gefestigt wird und in Zukunft an Patient*innen weitergegeben werden kann. 2019 wurde die praktische Lehreinheit mit dem Dr.-Michael-Hasiba-Preis, dem Förderungspreis der universitären Lehre in der Medizin der Ärztekammer Steiermark, ausgezeichnet.

 

 

Weitere Informationen und Kontakt
PDin MMag.a Dr.in Sonja Lackner
Lehrstuhl für Immunologie
Medizinische Universität Graz
Tel: +43 316 385 71166
sonja.lackner@medunigraz.at


PDin DDr.in Sabrina Mörkl
Klinische Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie
Medizinische Universität Graz
Tel.: +43 316 385 81743
sabrina.moerkl@medunigraz.at


PDin Dr.in Jolana Wagner-Skacel
Klinische Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie
Medizinische Universität Graz
Tel: +43 316 385 83036
jolana.wagner-skacel@medunigraz.at


Steckbrief: Sonja Lackner
Sonja Lackner ist Ernährungswissenschafterin und Pädagogin und als Forscherin und Dozentin am Lehrstuhl für Immunologie, Otto Loewi Forschungszentrum für Gefäßbiologie, Immunologie und Entzündung der Med Uni Graz, tätig, wo sie sich in der Forschungseinheit „Nutrition and Metabolism“(unter der Leitung von Sandra Holasek) vor allem Konzepten zur Steigerung der Ernährungskompetenz unterschiedlicher Bevölkerungs- und Patient*innengruppen, Stoffwechsel und Darm bzw. dessen Mikrobiom widmet. Hier steht das nutritive Assessment bei Essstörungen, psychischen Erkrankungen, Lebensmittelunverträglichkeiten und Sportler*innen im Fokus.


Steckbrief: Sabrina Mörkl
Sabrina Mörkl ist Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Wissenschafterin und Dozentin an der Med Uni Graz und betreibt eine Wahlarztpraxis. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit der Verbindung zwischen Darm und Gehirn. In ihrem Spezialgebiet Nutritional Psychiatry widmet sie sich vor allem der Vorbeugung und Behandlung von psychischen Erkrankungen mit Ernährung.

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