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Fortschritte in Gefahr: Keine verpflichtende Neurologie-Praxis in der postpromotionellen Ärzteausbildung

Fortschritte in Gefahr: Keine verpflichtende Neurologie-Praxis in der postpromotionellen Ärzteausbildung

Wien: Pressekonferenz zum Welt-Schlaganfall-Tag (25.10.2016): Statement Prim. Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Fertl, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN); Gastprofessorin der MedUni Wien; Abteilungsvorständin Neurologie der Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien.


Wenn wir im österreichischen Gesundheitssystem mit Fug und Recht auf etwas stolz sein können, dann ist das sicher unser bundesweit etabliertes, exzellentes Stroke-Unit-Netzwerk, das für eine hervorragende Akutversorgung von SchlaganfallpatientInnen sorgt. Diese 38 spezialisierten Einheiten verbessern die Versorgungsqualität enorm und stellen sicher, dass der größtmögliche Anteil an PatientInnen mit Schlaganfallverdacht eine fachgerechte Behandlung bekommt. Das senkt nicht nur die Sterblichkeit nach Schlaganfällen, sondern auch die Zahl der nachfolgenden Behinderungen. Umso alarmierender sind einige rezente Entwicklungen, die eine Gefahr für diese Fortschritte darstellen.

Im aktuell diskutierten Entwurf zum Österreichischen Strukturplan Gesundheit etwa sind eine Reihe von Punkten enthalten, die unsere hochwertigen Versorgungsstrukturen ganz real gefährden. Aus Sicht der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) handelt es sich bei dem Entwurf, wie er uns zur Stellungnahme vorlag, um einen reinen Verschlechterungsplan. Gerade jetzt, wo das Schlaganfallnetz nach jahrzehntelangem Aufbau so dicht gespannt ist wie in kaum einem anderen Land, wird begonnen, es wieder zu demontieren.

Neurologische Standard-Abteilungen ohne Reha-Betten inakzeptabel

Ich möchte an einem Beispiel aufzeigen, wie problematisch dieser Plan für die Schlaganfall-Versorgung ist. Derzeit verfügen wir auf allen neurologischen Standard-Abteilungen auch über Ressourcen für die Akut-Nachbehandlung. In dieser „Frührehabilitation“ behandeln wir PatientInnen in einem sehr frühen Stadium ihrer Genesung, wenige Tage nach dem akuten Schlaganfall.

Der Entwurf des Strukturplans sieht vor, diese Früh-Reha-Betten aus den Akutstationen in reine Rehabilitationseinrichtungen zu verlagern. Für die schwer kranken Schlaganfall-PatientInnen würde das bedeuten, dass sie bereits zu einem frühen Zeitpunkt in – meist an der Peripherie gelegene – Sonderkrankenanstalten überstellt werden, obwohl sie noch die Infrastruktur einer Akutklinik brauchen. Diese Vorgangsweise würde zu einem intensiven Pendel-Verkehr zwischen Rehazentrum und Akutkrankenhaus führen. Aus medizinischer Sicht ist das abzulehnen, weil das eine erfolgreiche Rehabilitation in jedem Fall verteuert und verlängert – in manchen Fällen sogar gefährdet.

ÖGN fordert rasche Kurskorrektur

Für uns NeurologInnen ist es unverständlich, wie es nach den intensiven gemeinsamen Vorarbeiten zu diesen gravierenden Abänderungen im ÖSG-Entwurf kommen konnte, die den Empfehlungen der Schlaganfall-SpezialistInnen diametral widersprechen. Das gilt neben den beschriebenen Früh-Reha-Betten auf neurologischen Standard-Abteilungen auch für nun geplante Strukturkriterien in anderen stationären Bereichen der neurologischen Patientenversorgung.

Prim. Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Fertl bei der PK zum Welt-Schlaganfall-Tag (25.10.2016), Quelle: B&K-Kommunikationsberatung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn dieser Entwurf so beschlossen und umgesetzt wird, kann an keiner einzigen Organisationseinheit einer neurologischen Abteilung – egal ob Stroke Unit, Neurologische Frührehabilitation, Neuro-Intensiv-Station, neurologisch-neurochirurgische Spezialzentrum oder Neurogeriatrie – die im letzten Jahrzehnt etablierte Qualität der Patientenversorgung erhalten, geschweige denn ausgebaut werden.

Zahl neurologischer Erkrankungen wird massiv steigen

Solche Anschläge auf die Versorgungsqualität sind umso unverständlicher, als die Neurologie ohnehin vor massiven Herausforderungen steht. Weltweit sind sich die Experten darin einig, dass die Zahl neurologischer Erkrankungen – vor allem durch die steigende Lebenserwartung und den Lebensstil in der westlichen Welt – sprunghaft steigen wird. Vor diesem Hintergrund ist auch eine andere gesundheitspolitische Entscheidung nicht nachvollziehbar, nämlich die Positionierung der Neurologie in der postpromotionellen Ärzteausbildung.

Neue Ärzteausbildung gefährdet Patientenversorgung

Obwohl bereits heute mehr Menschen an einer neurologischen Erkrankung leiden als an Atemwegserkrankungen, gastrointestinalen Störungen oder Krebs, sieht die 2015 in Kraft getretene Ärzteausbildungsordnung die Neurologie in der für alle ÄrztInnen obligaten neunmonatigen Basisausbildung nicht als Pflichtfach vor. Zwar sind im sogenannten Rasterzeugnis neurologische Ausbildungsinhalte angeführt – nach einjähriger Beobachtung sehen wir aber, dass die JungärztInnen in diesen ersten neuen Monaten kaum je neurologischen Abteilungen zugewiesen werden. Wo und wie JungärztInnen in der Basisausbildung die Versorgung neurologischer Notfälle und das Erkennen chronischer neurologischer Erkrankungen erlernen sollen, ist leider völlig offen und wird gegenwärtig auch nicht evaluiert.

Im Gegensatz zur früheren Regelung gibt es auch in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner das Pflichtfach Neurologie nicht mehr. Obwohl wir aus der Vergangenheit wissen, dass AusbildungskandidatInnen sich statt der einst obligaten zwei Monate Neurologie mehrheitlich eine Verlängerung auf drei Monate gewünscht hatten, wurde unser Sonderfach nun auf den Status eines Wahlfaches herabgestuft. Hier droht also eine neue Ärztegeneration ohne neurologische Erfahrungen und Fertigkeiten heranzuwachsen. Darüber hinaus weiß diese ÄrztInnenegeneration gar nicht, welche Expertise ihr fehlt („was man nicht kennt, erkennt man auch nicht!“).

Prof. Fazekas hat gerade ausgeführt, wie wichtig die Früherkennung gerade beim Schlaganfall ist. Auch bei allen anderen neurologischen Notfällen kann eine fachspezifische Frühdiagnostik und -therapie bleibende Behinderung und Tod vermeiden. Wenn AllgemeinmedizinerInnen künftig nicht mehr mit neurologischen Krankheitsbildern vertraut sind, wird das massive unerwünschte Auswirkungen auf die PatientInnen haben.

Quelle (Text): Statement Prim. Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Fertl​, aufrufbar unt​​​​​​er: B&K Kommunikationsberatung-Journalistenservice

Titelbild: Copyright: © vadimgozhda / 123RF

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