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Weibliche Sexualität und das ewige Dilemma mit der Scham

Weibliche Sexualität und das ewige Dilemma mit der Scham

Das Körperbild ist ein Teil unserer Identität, der ganz allgemein das Verhältnis des Menschen zum eigenen Körper umfasst. Besonders was den weiblichen Körper betrifft, sind Körperbilder von bestimmten Vorstellungen und sozialen Konstrukten überlagert.


Das eigene Körperbild formiert sich in der Regel als Resultat komplexer Zusammenhänge – einerseits durch jede körperliche Betreuung und Zuwendung wie etwa Stillen, Pflegen, Baden oder Füttern, andererseits anhand der Körpersprache, der motorischen sowie konkreten taktilen Erfahrungen. Darüber hinaus basiert es auch auf erworbenen persönlichen sinnlichen Empfindungen (Hautsinn, Vegetativum, Hunger, Durst, Sättigung), emotionaler Interaktion mit den Eltern, der Wahrnehmung des Körpers durch die Eltern sowie Beobachtungen und Erfahrungen des Kindes, wie Eltern mit dem eigenen Körper umgehen (Angespanntheit, Entspannheit, Scham, Ablehnung usw.), die ein lustvolles oder ein lustfeindliches Klima schaffen können.

Schönheit: ein globalisiertes Massenkonsumprodukt?

In einer individualisierten, entsolidarisierten Leistungsgesellschaft, in welcher postmoderne, machbare, normierte Körperbilder verbreitet werden, wird der Körper nicht mehr als „Schicksal“, sondern als ein formbares, veränderbares Produkt wahrgenommen. Der Körper kann formiert und an das verbreitete, als „normal“ akzeptierte Körperbild angepasst werden. Wenn der Körper nicht zu dem jeweiligen Körperideal passt, werden Schamgefühle ausgelöst.Wie Körper gesehen, propagiert und kommuniziert werden, ist heute nicht mehr von der eigenen Körperwahrnehmung und oktruiertem Körperbild zu trennen. Soziale Konstrukte verändern unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung und führen zu Anpassungsversuchen, die unter anderem in Diäten, Schönheitsoperationen, Fitness etc. ihre Ausprägung finden.

Warum schönheitschirurgische Eingriffe?

Nach Korczak (2007) ist die Unzufriedenheit mit einem oder mehreren äußerlichen Körpermerkmalen, die Leidensdruck, Scham und Selbstzweifel hervorrufen kann, der wohl wichtigste Grund für einen schönheitschirurgischen Eingriff. Darüber hinaus gehören zu den entscheidendsten Ursachen sich unters dem Messer zu legen, ein geringes Selbstbewusstsein, Enttäuschungen bzw. Kränkungen sowie die Angst vor dem Älterwerden.

Von Modetrends zu Körpertrends

Von enger, knapper Kleidung bis zum Wahn der totalen Körperenthaarung – das weibliche Genital wird sichtbar und mit Bildern und Trends aus der Pornographie vergleichbar gemacht. Angebot und Nachfrage beeinflussen sich gegenseitig – in diesem Sinne bewerben Genital-Operationen ästhetische Standards für das weibliche Genital – Form, Größe sowie eine „normale“ Symmetrie sollen an das Körperideal einer jungfräulichen und uniformen Frau angepasst werden.

Das weibliche Genital – das unbekannte Organ

Das unbekannte, „namenlose“ Organ bleibt nach wie vor ein Tabu – durch das falsche Ideal ästhetisch gefälliger Vagina nach männlichen Masturbationsvorbildern entstehen Ängste und Schamgefühle. Somit wünschen sich viele Frauen, die „Imperfektheit“ zu korrigieren. Eine internationale Studie zur Unzufriedenheit mit dem Aussehen der eigenen Genitalien unter 1441 Frauen, die  in dem Deutschen Ärzteblatt (04.04.2009, Heft 4) publiziert wurde, zeigt, dass über 60 Prozent der befragten Frauen Bedenken bezüglich ihres Aussehen haben. Fast die Hälfte der Befragten (rund 47 Prozent) gab an, von allen Körperorganen, am wenigsten über ihre Vagina zu wissen.

Laut WHO umfasst die weibliche Genitalverstümmelung alle Prozeduren, die „die teilweise oder völlige Entfernung der externen weiblichen Genitalien oder andere Verletzungen der weiblichen Genitalien involvieren, sei es aus kulturellen oder anderen nicht-therapeutischen Gründen.“ Eine Analyse im Bereich zeigt, dass die Motive für eine chirurgische Schammlippenverkleinerung zum Beispiel vor allem mit ästhetischen Bedenken zusammenhängen und außerdem als störend bei Kleidung oder beim Sport bzw. schmerzhaft beim Eindringen in die Scheide empfunden werden (vgl. Rouizer et. al: 2000).

Schließlich soll betont werden, dass im Bereich des weiblichen Genitales eine große Bandbreite von Normalität besteht. Allerdings sollte körperliche Vielfalt Normalität sein. Darüber hinaus können operative Eingriffe weder Jugendlichkeit noch Selbstwertgefühl sichern, wobei die Risiken vor allem mit der tiefgreifenden Verunsicherung des weiblichen Genitals und diversen medizinischen Auswirkungen verbunden sind. Als zukünftige Strategien werden verbindliche psychologische Beratung, sexualmedizinische Ausbildung der durchführenden ÄrztInnen, Qualitätskriterien und Richtlinien, Aufklärung über Biologie und Aussehen des weiblichen Genitales sowie Sexualpädagogik für Jugendliche empfohlen. Dabei sind in erster Linie klare, objektive Patienteninformation und Risikoaufklärung erforderlich. Schließlich besteht die Basis erfüllter weiblicher Sexualität aus Autonomie, Selbstbewusstsein, positives Körperbild, Beziehungen auf Augenhöhe sowie aus der Kontrolle über den eigenen Körper.

Literatur:

Korczak, D. (2007): Schönheitsoperationen: Daten, Probleme, Rechtsfragen.

Liao, L. (2011): Female genital cosmetic surgery: a new dilemma for GPs.

Rouzier, R. et al. (2000) American Journal of Obstetrics and Gynecology. 18/2000, S. 35-40.

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